Hendrikje, vorübergehend erschossen
sein Sorbet schon aufgegessen, schaute mich an, grinste und zeigte wieder wie damals
im Café fragend auf
mein
Sorbet, das unberührt an meinem Platz stand und vor sich hin schmolz. Auf diese stumme Weise hatte er auch damals im Café
gefragt, ob er mein Eis essen dürfte, mit dieser komischen Grimasse, die besagen sollte:
Ich weiß, dass ich ein
Vielfraß bin, aber wenn du es nicht haben willst, wäre es
doch schade, wenn das Zeug umkommt
.
Ich hab Holger angelächelt und ihm zugenickt und ihm damit mein Sorbet geschenkt, und dann hab ich mich wieder zu Ernst umgedreht
und gesagt: ›Du bist nämlich alles andere als mein letzter Lover, du bist der vorletzte und der allerletzte, aber der letzte,
der bist du eben nicht!‹
Lisa sagte sehr lässig und scheinbar gelangweilt: ›Dieter.‹
Ernst wollte mich schon wieder am Arm packen, aber ich hab ihn weggeschubst, und er ließ das zu und machte keinen |101| neuen Anlauf, und dann hab ich zu Lisa gesagt: ›Nee, nicht Dieter‹, denn ich wollte ihm auf keinen Fall Unannehmlichkeiten
bereiten, ›sondern einer der beiden Handwerker, die Ernst neulich angeschleppt hat, der, der die Kacheln getragen hat, der
Blonde, der ist später noch mal wiedergekommen, weil er seinen Schlüsselbund bei mir verloren hatte.‹ Ich drehte mich ein
bisschen um, damit Ernst auch kein Wort verpasste und sagte: ›Dachte er jedenfalls, später war klar, dass das nur ein Vorwand
war. Er hat das auch zugegeben, er hat gesagt, ich hätte süß ausgesehen, mit meinen nassen Füßen unter dem Bademantel, das
hätte ihn angemacht. Und er war sehr charmant und er war eine Gra.na.te. im Bett, darauf kannst du wetten.
Nicht Dieter
.‹
Ernst war sprachlos, und ich dachte: Scheiße, gleich fragt er mich, wie denn der Handwerker geheißen hat, und das weiß ich
nicht. Aber da gab es einen dumpfen Knall und Holger war mit seinem Stuhl umgefallen. Der Stuhl lag auf dem Rücken am Boden
und auf ihm Holger, ganz unverändert, genau so, wie er am Tisch gesessen hatte, bloß tot. Ja, er war tot, das war eindeutig.«
Die Palmenberg fasst sich entsetzt ans Dekolleté: »Holger …?«
»Ja. Holger. Mein guter Freund Holger.«
»Ach du lieber Gott.«
»Ja.«
»Der Einzige, der mit der ganzen Aktion nicht einverstanden war …«
»Ja, genau.«
»Das heißt also, dass Ernst Ihr Sorbet vergiftet hatte, das Sorbet, das dann Holger in die Finger bekam …«
»Ja, genau. Ernst hatte sein Versprechen gehalten, Holger hat nichts gemerkt, es ging zu schnell. Und ich hätte auch nichts
gemerkt.«
|102| »Wo hatte Ernst so ein tödliches Gift her? Das ja wohl auch völlig geschmacksneutral war?«
»Also, das stellte sich erst später bei meiner Verhandlung heraus. Ernsts Copyshop ist am Sternschanzenpark, und der Sternschanzenpark
ist voll mit Süchtigen und Dealern. Gegenüber vom Copyshop ist eine Apotheke, in der kriegen die Süchtigen auf Rezept täglich
ihr Metadon. Wie sich herausstellte, ist es unter den Süchtigen ziemlich üblich, dieses Metadon wieder zu verkaufen, und zwar
an nicht-süchtige Leute, die damit einen vermeintlich ungefährlichen Trip schmeißen wollen. Von dem Geld kaufen sich die Süchtigen
wieder echtes Heroin. Wer aber als nichtsüchtiger Mensch das Metadon auch nur ein bisschen überdosiert, erlebt keinen ungefährlichen,
sozusagen ›gesunden‹ Trip, sondern bringt sich um.«
»Das heißt, man kann sich mit Metadon
töten
!?«, fragt die Palmenberg ungläubig.
»Allerdings. In Holgers Blut fand man später eine Dosis, die gereicht hätte, einen Süchtigen drei Tage lang zu substituieren.«
»Und das wusste Ernst, dass man mit Metadon töten kann …?«
»Ja, das muss er gewusst haben. Ich weiß nicht, woher, ob er das mal in der Zeitung gelesen hat oder ob die Süchtigen ihm
das erzählt haben, wenn sie mal zum Fotokopieren in seinen Laden kamen. Keine Ahnung.«
»Was sollten denn Drogensüchtige zu fotokopieren haben?«, fragt die Palmenberg. »Zeugnisse?«
»Keine Ahnung.«
Die Palmenberg nickt und überlegt sehr, sehr lange.
»Oh Gott, das ist ja gespenstisch … Dann sind ja an diesem Abend nicht Sie gestorben, sondern Ihr alter ego …«
»Mein
alter ego
?«
|103| »Ja. Holger. Lieb und fleißig, fleißig und lieb. Und nicht in der Lage, einmal laut genug ›Nein‹ zu sagen.«
»Also, Moment mal, alles was recht ist«, empört sich Hendrikje, »das trifft auf mich nicht zu. Ich habe Ihnen doch gerade
erzählt, dass ich an
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