Henker-Beichte
er das Gefühl hatte, von einem Monster angeglotzt zu werden.
Das Blut hatte er auf seinem Gesicht verschmiert. Selbst auf der linken Hälfte klebte es und war von dem Wasser nicht abgespült worden. Sein Ohr blutete ebenfalls, aber er konnte jetzt gut erkennen, wo sich die Verletzung befand.
Das Beil hatte sein Ohrläppchen abgehackt; er würde es blutverschmiert auf dem Laken finden.
In der Küche gab es einen Verbandskasten. Cresson wußte, daß ihn diese Wunde nicht umbringen würde, wenn er sie rasch verband.
Mit zittrigen Fingern suchte er in den Fächern des Schranks nach dem Verbandszeug. Er fand Pflaster, er fand genügend Mull, er fluchte auch und fing dann an, sich zu verarzten, wobei ihm der Spiegel wertvolle Dienste leistete.
Er nahm gleich vier Pflaster auf einmal, klebte sie kreuz und quer und hoffte, daß sein Ohr nicht mehr so stark bluten würde.
Der Schmerz aber blieb. Er war unangenehm, biß durch seinen Kopf, und Cresson wollte nicht leiden, deshalb holte er die Schachtel mit den Tabletten hervor und schluckte zwei Pillen. Mit Wasser spülte er nach.
Dann band er noch ein Handtuch um seinen Kopf und sah aus wie eine Witzfigur, die im Wartezimmer eines Zahnarztes saß.
Er hatte alles getan, was möglich war. Der Rest mußte heilen. Er würde auch heilen, und er nahm das verkrüppelte Ohr liebend gern in Kauf, wenn damit die andere Bedrohung verschwunden war.
Daran konnte er nicht glauben.
Bevor er seinen Wohnraum betrat, machte er Licht.
Unter der Decke wurde die alte Lampe hell, und sofort fiel Cressons Blick auf das Bett. Am oberen Ende hatte sich sein Blut in das Kopfkissen gesaugt und es verschmiert.
Das Kissen würde er wegwerfen können. Er schleuderte es in die Ecke und griff wieder zur Hasche, auch wenn der Alkohol beinahe Löcher in seinen Magen brannte. Daß er die beiden Tabletten geschluckt hatte, interessierte ihn nicht. So leicht würden ihn die Dinge, die nicht zusammen paßten, schon nicht umwerfen.
Eigentlich hätte er bereits auf hundertachtzig sein müssen, was bei ihm seltsamerweise nicht der Fall war. Statt dessen fühlte er sich müde, kaputt und ausgelaugt. Vielleicht lag es an der Wirkung der Tabletten und der des Alkohols.
Natürlich schmerzte sein verletztes Ohr noch. Darin pochte, klopfte und hämmerte es, aber die Schwere seines Körpers überwog alles andere.
So wie er war, ließ er sich auf das Bett fallen.
»Keine Schlangen«, murmelte er, »keine Schlangen…« Er grinste wie ein Clown, der einen bitterbösen Scherz gemacht hatte. Dann sackte er weg wie ein Stein.
Übergangslos schlief der Henker ein.
***
Das grausame Erwachen, verbunden mit den Erinnerungen der frühmorgendlichen Stunden hatte er hinter sich. Er hatte das Bett verlassen und war sich dabei vorgekommen wie sein eigener Großvater.
Fix und fertig war er durch das Zimmer geschlurft und hatte sich unter die Dusche gestellt. Seine Kleidung lag neben ihm auf dem Haufen. Das Wasser war um diese Zeit wärmer, aber draußen, wo es längst hell geworden war, breitete sich wieder ein Tag aus, der zum Weglaufen war.
Grau, neblig und düster. Mit Wolken, die so tief hingen, daß der Eiffelturm in seinem oberen Drittel kaum zu sehen war.
Ein beschissenes Wetter, und so fühlte er sich auch. Selbst die Stimmen von der Straße her, deren Schall an der Hauswand hochglitt, waren leiser als sonst. Das Wetter machte alles dumpf und träge, auch der Henker fühlte sich so.
Nach der Dusche ging es ihm besser. Tropmaß verließ er die Kabine und griff nach dem größeren Handtuch, um seinen mit grauen Haaren bedeckten Körper abzurubbeln. Das Ohr schmerzte noch immer. Aber nicht mehr so wild. Er hatte das Pflaster vor dem Duschen entfernt und sich die Verletzung angeschaut.
Viel hatte er dabei nicht erkennen können, weil eine rötlichbraune Kruste das untere Drittel des Ohres bedeckte. Hören konnte er völlig normal, was wichtig war.
Er räumte nach dem Abtrocknen seine Klamotten in den Schrank, dann zog er einen Pullover an. Die schwarze Jacke hängte er über eine Stuhllehne und kochte sich zunächst einmal Kaffee.
Er brachte seine Lebensgeister wieder in Schwung. Die Kaffeemaschine und die Glotze gehörten zu den modernsten Gegenständen in seinem Zimmer.
Cresson verspürte auch Hunger, blickte auf die Uhr und ging davon aus, daß er es wagen konnte. Die beiden Nutten auf seiner Etage bekamen jeden Morgen Croissants gebracht. Zumindest so viele, daß sie eines für ihn übrig hatten.
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