Henkerin
genug Hände, um die Felder zu bestellen und das Vieh zu versorgen. Und dann kamen die Unwetter und machten die gesamte Ernte zunichte. Immer mehr Leute verließen den Hof. Die Arbeit blieb liegen. Eines Tages fanden wir auch noch den Herrn tot in seinem Bett. Niemand wusste, woran er gestorben war. Danach gab es kein Halten mehr. Auch die letzten Mägde und Knechte verließen den Hof. Die Handwerker waren ohnehin längst fort. Nur Hermann und ich blieben hier. Wo hätten wir auch hingehen sollen? In unserem Alter finden wir keine Arbeit mehr. Wir bestellen ein kleines Beet hier hinter dem Haus, nennen die zwei Hühner und eine Ziege unser Eigen, damit kommen wir recht gut über die Runden. Hermann stellt Leder her, aus Kaninchen und anderen kleinen Tieren, die er jagt. Die fertigen Stücke verkauft er den Gerbern in Urach, auf dem Markt darf er sie ja nicht anbieten, weil er nicht der Zunft angehört. Aber so verdient er immerhin ein wenig Geld, mit dem wir Vorräte für den Winter oder ein wenig Stoff für ein neues Gewand kaufen können.« Sie erhob sich abrupt. »So, jetzt muss ich aber an die Arbeit.«
Melisande stand ebenfalls auf. »Ich könnte Euch zur Hand gehen.« Ida schüttelte den Kopf. »Was wir haben, reicht nicht, um drei Mäuler zu stopfen.« Melisande zögerte, dann zog sie ihren Beutel hervor und entnahm ihm einige Münzen, die sie auf den Tisch legte. »Ich habe ein wenig Geld gespart, ich zahle Euch die Verköstigung. Man sieht es mir vielleicht nicht an, aber ich bin harte Arbeit gewöhnt. Außerdem kenne ich mich in der Heilkunde aus. Bitte schickt mich nicht fort! Da draußen wartet der Tod auf mich.«
***
Die Stadt Urach lag unter einem Schleier aus Regen und Dunst am Fuß des Berges. Braun schäumend und aufgewühlt von den Wassermassen, die seit Stunden auf sie niederprasselten, strömte die Erms an den wehrhaften Stadtmauern entlang und verschwand hinter einer Biegung in Richtung Norden. Fast vollständig verborgen von den tief hängenden Wolken thronte die Burg Hohenurach über der Stadt. Die Stadt, die Burg, der Fluss, alles erschien unwirklich wie eine Wandmalerei, deren Farben im Laufe der Jahrhunderte verblasst waren.
Dietrich, der Fuchs, schüttelte sich. Die Nässe war längst bis auf seine Haut durchgedrungen, ihr gefolgt war die Kälte, die langsam von ihm Besitz ergriff. Zu gern wäre er ins Tal hinabgestiegen, hätte es sich in einem der Wirtshäuser bequem gemacht und seine Lebensgeister von einem Krug Wein und einer duftenden Magd wecken lassen.
Verärgert spuckte er auf den Boden. Der verfluchte Regen hatte ihn daran gehindert, die Fährte des Henkers jenseits des verlassenen Fronhofs wieder aufzunehmen. Als er morgens aufgewacht war, hatte es bereits in Strömen gegossen. Trotzdem hatte er das Gelände gründlich abgesucht. Irgendwann war er auf die beiden Alten gestoßen, die offenbar in diesen Ruinen lebten. Zuerst hatte er überlegt, den beiden die Kehle durchzuschneiden, damit sie ihn nicht verraten konnten, aber er hatte sich anders entschieden. Eine solche Bluttat würde viel zu viel Aufmerksamkeit nach sich ziehen. Schließlich hatten die beiden ihn nicht gesehen, zumindest nicht von vorne, und Diebe gab es viele. Ein Gesicht wie seins aber gab es kein zweites Mal. Unwillkürlich fuhr er mit den Fingern über seine Narbe.
Er hatte den Hof noch eine Weile vom Wald her beobachtet, schließlich konnte er nicht sicher sein, dass wirklich nur die beiden alten Leute dort wohnten, denn der Mann hatte ihn vertrieben, bevor er mit seiner Suche fertig war.
Und das Warten hatte sich gelohnt: Es gab noch eine dritte Person auf dem Hof, eine junge Metze mit feuerrotem Haar, vielleicht die Tochter der beiden. Bei ihrem Anblick war Dietrich das Wasser im Mund zusammengelaufen. Ein bisschen mager war sie, aber dafür hatte sie das Gesicht eines Engels. Am liebsten hätte er den Hof noch einmal aufgesucht, sich den Rotschopf von Nahem angeschaut. Doch er hatte sich beherrscht, den Besuch auf später vertagt.
***
Konrad Sempach starrte missmutig hinaus, wo es noch immer wie aus Kübeln schüttete. Das hatte er davon, dass er sich so eilfertig zur Ketzerjagd gemeldet hatte. Anstatt einen wohltuenden Nachmittag im Badehaus zu verbringen, wo ihm der Reiber tüchtig den Rücken durchknetete und der Bader ihn schröpfte, bevor er sich in einem dampfenden Kräuterbad mit einer der Bademägde vergnügte, musste er bei dem Schmuddelwetter hinaus vor die Stadtmauer.
Natürlich hatte der
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