Henkerin
Abt der Prediger rasch Wind davon bekommen, dass im Haus des Henkers eine ketzerische Bibelseite gefunden worden war, aber es war nicht seine Schuld gewesen. Der Abt hatte Sempach zu sich rufen lassen und ausgefragt. Glücklicherweise war der hagere Alte mit dem stechenden Blick nicht auf die Idee gekommen, Meister Raimund oder sein Neffe Melchior könnten in der Stadt Spießgesellen gehabt haben. Deswegen insistierte er auch nicht weiter, und die befürchtete Ketzerjagd blieb aus. Ihm ging es allein darum, dem verstorbenen Häretiker seine gerechte Strafe zukommen zu lassen, diesem den Teufel aus dem toten Leib zu treiben.
Sempach war das gleichgültig, sollte der Prediger seines Amtes walten, wenn er es für richtig hielt. Nur dass er selbst als Vertreter des Stadtrates zugegen sein sollte, passte ihm überhaupt nicht. Seufzend warf er sich den Mantel über die Schultern und trat aus dem Haus.
Auf dem Marktplatz erwartete ihn bereits eine Schar Menschen: der Dominikanerabt, eine Reihe seiner Brüder, zwei Büttel, die beiden Henkersknechte und ein Haufen Schaulustiger, die sich trotz des unwirtlichen Wetters auf ein Schauspiel freuten, das man in der Stadt noch nie zu sehen bekommen hatte.
Mit dem Abt an der Spitze setzte sich der Zug in Bewegung. Bereits am Brückentor hatte Sempach das Gefühl, dass seine Kleider wie nasse Lappen an seinem Körper hingen. Das fehlte ihm gerade noch, dass er sich wegen dieses verderbten Scharfrichters ein Fieber holte! Er zog die Gugel tiefer ins Gesicht und fluchte leise vor sich hin. Auf dem Rossmarkt stank es noch erbärmlicher als in den übrigen Gassen der Stadt. Das Schelztor war nun schon zum dritten Mal innerhalb einer Woche außer der Reihe geöffnet worden, erst für die Beisetzung der Metze und ihres Bastards, dann für die des Henkers und jetzt, um diesen aus seiner letzten Ruhestätte wieder ans Licht zu zerren. Die Totengräber hatten die Erde über Raimunds sterblichen Überresten bereits ausgehoben. Jetzt war es an den beiden Henkersknechten, den eingewickelten Leichnam aus der Grube zu heben.
Sempach rümpfte die Nase. Nach dem Rossmarkt hätte er nicht gedacht, dass es irgendwo noch widerlicher stinken konnte. Vermutlich dünstete dieser Ketzer den Schwefel der Hölle aus.
Schnaufend hievten die beiden Knechte die Kuhhaut aus der kaum knietiefen Grabstätte und legten sie auf dem aufgeweichten Boden ab.
Sempach bedeutete ihnen, den Henker auszuwickeln. Völlig teilnahmslos, wie es ihm schien, entfernten die Burschen erst die schlammbeschmierte Rinderhaut, dann das weiße Totenhemd. Ihre Arbeit hatte sie vermutlich gegen jegliche Gefühlsregung unempfindlich gemacht.
Sempach entfuhr ein zufriedenes Grunzen. Raimund Magnus war ihm immer unheimlich gewesen, selbst als hilfloser, an das Bett gefesselter Krüppel. Jetzt aber, wo er nackt und leblos im Dreck lag, war alles Dämonische an ihm verschwunden, übrig war nichts weiter als ein toter alter Mann mit faltiger Haut und eingefallenem Gesicht, an dem sich die Würmer schon gütlich getan hatten.
Die Büttel entluden Holz und Reisig von einem Karren, der zum Schutz gegen den Regen mit einer Plane abgedeckt war, und schichteten es zu einem kleinen Scheiterhaufen auf. Als sie fertig waren, packten die beiden Henkersknechte den Toten und warfen ihn auf das aufgeschichtete Holz.
Der Abt trat auf den Scheiterhaufen zu, ein hölzernes Kreuz in den erhobenen Händen. »Princeps gloriosissime caelestis militiae, sancte Michael Archangele, defende nos in praelio adversus principes et potestates, adversus mundi rectores tenebrarum harum, contra spiritualia nequitiae, in caelestibus.«
Die Menge, die sich um die Richtstelle geschart hatte, schwieg andächtig. Sempach fror. Der Abt schien kein Ende zu finden. Es dauerte lange, bis er endlich den Bütteln bedeutete, näher zu treten. Sie gossen Pech auf den Scheiterhaufen und hielten ihre Fackeln daran. Das Pech entzündete sich, und im Nu fasste auch das Holz Feuer. Ein Raunen erhob sich, als die Flammen aufloderten. Der Abt sprach ein letztes Gebet, wandte sich ab und schritt von dannen.
Der Regen hatte nachgelassen, fiel nur noch in feinen Fäden. Nach und nach brachen auch die Schaulustigen auf. Allein die Henkersknechte blieben zurück. Sie würden die Asche und die übrig gebliebenen Knochen in alle Himmelsrichtungen verstreuen, sobald das Feuer niedergebrannt war, damit von dem gottlosen Ketzer keine Spur auf Erden zurückblieb.
Es dauerte eine Weile, bis
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