Henkerin
auch die letzten Gaffer durch das Schelztor in die Stadt zurückgekehrt waren. Sempach folgte dem Strom in einigem Abstand. Bevor er das Tor durchschritt, drehte er sich noch einmal um. Die Flammen waren verloschen, die Feuerstelle glühte rot. Nun galt es, den Neffen zu finden. Sein Ende würde nicht so still sein wie das seines Oheims. Melchior würde lebend verbrannt werden, und Konrad Sempach freute sich darauf, seine Todesschreie über die Fildern hallen zu hören.
***
»Woher hast du das Geld?«, fragte Hermann argwöhnisch. Er starrte auf die Münzen, die Melisande auf den Tisch gelegt hatte. Drei Kreuzer. Der Wochenlohn eines Handwerksgesellen.
Melisande knetete nervös ihre Finger. Sie hatte lange überlegt, wie viel sie den beiden anbieten sollte. Es sollte genug sein, um ihre Bereitwilligkeit zu fördern, sie bei sich aufzunehmen, aber auch nicht zu viel, damit sie nicht misstrauisch wurden. Drei Kreuzer waren ein Dutzend Pfennige, das konnte auch eine einfache Magd zusammengespart haben. »Ich habe es zurückgelegt.«
»Meine Ida hat im Herrenhaus für ein Mittagsmahl, einen Schoppen verdünnten Weins und einen Heller am Tag gearbeitet. Ein Heller am Tag, das sind drei Pfennige in der Woche. Wie kann man von so einem Lohn noch etwas zur Seite legen?«
»Ich habe als Heilerin ein wenig dazuverdient«, erklärte Melisande schnell. »Ich sagte doch, dass ich etwas von Wundheilung verstehe.«
Ida ergriff die Hand ihres Gatten. »Gib deinem Herzen einen Ruck, Hermann. Wir können die Kleine doch nicht hinaus in dieses Unwetter schicken. Es gießt ohne Unterlass. Sie wäre sofort bis auf die Haut nass. Willst du schuld sein, wenn sie ein Fieber bekommt und stirbt?«
»Der Regen hört auch wieder auf«, brummte Hermann, ohne seine Gemahlin anzusehen.
Melisande blickte erwartungsvoll zu Ida. Die lächelte und zwinkerte ihr zu, bevor sie erneut zu Hermann sprach. »Mein Guter, wenn der Regen sie nicht umbringt, dann einer von diesen Halunken, die sich auf der Landstraße herumtreiben. Denk an den Kerl, den du vorhin vom Hof vertrieben hast. Soll der unsere Mechthild etwa in seine schmierigen Pfoten bekommen?«
»Natürlich nicht.« Hermann sah erst zu Ida, dann zu Melisande und seufzte. »Meinetwegen.« Er schien immer noch nicht überzeugt, doch er packte die Münzen und ließ sie in seinem Beutel verschwinden. »Du kannst bleiben, bis das Geld aufgebraucht ist. Mit der Arbeit kannst du gleich anfangen. Ich habe ein paar Eichhörnchen und einen Fuchs erlegt. Komm mit, du kannst sie abziehen.«
»Einen Fuchs?«, rief Ida und schlug erschrocken die Hände vor den Mund. »Warst du etwa im Wald jagen? Das ist gefährlich. Was, wenn man dich für einen Wilddieb hält?«
»Keine Sorge. Niemand hat mich gesehen. Außerdem habe ich das Tier bei der Mühle erwischt. Dieses Land gehört zum Fronhof, nicht dem Grafen. Da kann der Jagdvogt mir nichts anhaben.«
Hermann wollte sich abwenden, doch in diesem Augenblick ertönte draußen Hufgetrappel. Melisande, Ida und Hermann starrten sich erschrocken an.
Eine energische Stimme drang herein: »Heda! Ist einer zu Hause?«
Hastig schob Melisande ihre Haare unter die Haube und trat mit den beiden Alten vor die Tür. Sie versuchte, sich hinter ihnen zu verstecken, denn sie hatte die Stimme des Mannes erkannt. Es war Utz, Adalberts Saufkumpan. Im Hof warteten drei Reiter, ein junger, kräftig gebauter Bursche mit stark gerötetem Gesicht und zwei ältere Männer. Alle drei trugen einfache, aber gute Kleidung, die vor Nässe triefte. Es regnete zwar kaum noch, doch offenbar waren die Männer seit den frühen Morgenstunden unterwegs.
»Seid gegrüßt.« Hermann verneigte sich tief. »Womit kann ich Euch dienen, werte Herren?«
»Was ist das für ein Hof? Wo sind die anderen?«, fragte der rundliche Bursche mit dem roten Gesicht. Sein Blick wanderte über die verlassenen Gebäude und verhieß nichts Gutes. Das musste Utz sein. Obwohl er viel jünger als seine Begleiter war, führte er das Wort.
»Alle fort«, erwiderte Hermann. »Erst das Fieber, dann Missernten. Nur wir sind übrig.«
»Dein Weib und deine Tochter?«, wollte Utz wissen. Melisande wagte es nicht aufzublicken. Wenn Hermann verneinte, würden die Männer wissen wollen, wer sie war und woher sie kam. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Hermann eine Kopfbewegung machte, die man als Nicken deuten konnte. Und sie sah auch, dass seine Frau ihre Fingernägel in seine Hand grub.
Utz genügte das offenbar.
Weitere Kostenlose Bücher