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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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und seine Familie, Adalbert Breithaupt, erster Sohn des ehrenwerten Zunftmeisters der Gewandschneider, Friedrich Breithaupt. Adalbert war ein wunderbarer Mann. Warmherzig, treu und vor allem: Er liebte sie. Und Melisande liebte ihn. In einer Vollmondnacht hatte er um ihre Hand angehalten. Rosenblätter hatte er streuen lassen, zwei Musiker hatten eine Ballade gesungen von dem einzigen wahren Ritter ihres Herzens, Adalbert. Bereits als sie sich das erste Mal gesehen hatten, als sie das erste Mal in seine tiefschwarzen Augen geblickt hatte, hatte sie gefühlt, was sie nie zuvor gefühlt hatte: Liebe. Reine Liebe, so unschuldig und weiß wie der Januarschnee.
    Jetzt standen sie auf einer kleinen Bühne vor dem Schwörhaus. Alle waren gekommen: der Rat, die Zunftmeister, die vornehmen Familien der Stadt. Die Tafel war länger als jede Hochzeitstafel, die in Esslingen je aufgestellt worden war, denn Meister Breithaupt wollte sich nicht nachsagen lassen, er habe es an irgendetwas fehlen lassen. Melisande lächelte ihren zukünftigen Schwiegereltern zu, sie lächelten zurück, warm und herzlich.
    Feierlich wurde der Vertrag besiegelt, mit Tränen in den Augen übergab Raimund sein Kind in die Hände des Gatten. Die Glocken von St. Dionys läuteten, die Menschen jubelten, Blütenblätter regneten auf das junge Paar nieder, und Melisande schritt wie eine Königin zu dem Wagen, der sie zu der alten Hütte auf den Fildern brachte. Adalbert hatte sich gewünscht, die Hochzeitsnacht mit seiner geliebten Melisande dort zu verbringen, wo sie sich zum ersten Mal heimlich getroffen hatten. Sein Vater hatte leise gelacht und das einfache Holzhaus herrichten lassen wie einen Palast: mit Teppichen an den Wänden, einem Bett aus Eiche, verziert mit kostbaren Schnitzereien, die Fruchtbarkeit und Liebe beschworen.
    Die Festgemeinde, die das Brautpaar zur Hütte begleitet hatte, zog zurück in die Stadt. So waren sie endlich allein, und Melisande konnte in den schwarzen Augen ihres Gatten versinken. Sie spürte seine starken Arme, seinen festen Körper, seine süßen Küsse auf ihrer nackten Haut. Sie wusste es: Heute Nacht würde er ihren ersten Sohn zeugen.
    Plötzlich splitterte Holz. Schreiende Männer drangen in die Hütte ein. Adalbert riss entsetzt die Augen auf. Melisande hob den Blick zu der schwarzen Gestalt, die über ihnen aufragte wie ein Dämon aus den Tiefen der Hölle: Ottmar de Bruce.
    »Alles Gute für das frischvermählte Paar!«, höhnte er, ließ sein Schwert niederfahren und tötete Adalbert mit einem Streich.
    Melisande konnte nicht schreien. Ihre Kehle war zugeschnürt, entsetzt warf sie sich auf den Leichnam ihres Bräutigams, ihre Tränen mischten sich mit seinem Blut.
    Plötzlich war es totenstill um sie herum. Still und dunkel. Der warme Körper, den sie eben noch unter dem ihren gespürt hatte, war verschwunden. Nichts war dort, nur die nassgeschwitzte Decke.
    Vorsichtig richtete sie sich auf. De Bruce war weg, ebenso Adalbert. Niemand war da. Sie war nicht in der Hütte auf den Fildern. Sie war zu Hause.
    Zitternd stieg Melisande aus dem Bett, schob den Vorhang zur Seite. Ihr Herz raste immer noch, doch die Traumbilder zerbröckelten allmählich, machten der Wirklichkeit Platz. Das fahle Licht des Morgens drang durch die Ritzen in den Fensterläden in das Haus des Henkers. Das Richtschwert hing, wo es immer hing, es schimmerte, so wie es immer geschimmert hatte. Alles war, wie es immer war.
    »Nur ein Traum«, murmelte Melisande. »Nur ein dummer, dummer Traum.« Sie trat vor den Balken und richtete ihren Blick auf Nerthus. Leise sprach sie ihr Morgengebet, das gleiche, das sie seit fünf Jahren sprach und das seit ebendiesen fünf Jahren immer mit derselben Bitte endete: »Herr, gib mir die Kraft, den Mörder meiner Familie seiner gerechten Strafe zuzuführen.«
    Melisande wandte sich ab und zog den Vorhang an Raimunds Kammer zur Seite. Sein Mund stand weit offen, die Augenlider zitterten leicht. Sie atmete auf.
    Seit achtzehn Monaten hütete Raimund nun schon das Bett. Mitten im Winter war er beim Holzhacken umgefallen, als habe ihn der Blitz getroffen. Zuerst hatte Melisande gedacht, er sei tot, aber sein Herz hatte noch geschlagen, obwohl es fast nicht mehr zu spüren gewesen war. Es hatte ausgereicht, ihn am Leben zu halten. Als er wieder aufgewacht war, fast zwei Wochen später, hatte er nicht mehr sprechen können, nur undeutliches Gebrabbel hatte er von sich gegeben. An seinen Augen hatte sie gesehen,

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