Henkerin
thronte.
Die Reise nach Urach war ohne Zwischenfälle verlaufen. Auf Hohenurach waren sie gut aufgenommen worden, Stroh und Heu für die Pferde, Brot, Fleisch und Käse für die Männer hatten bereitgestanden, eifrige Bedienstete hatten die Fässer abgeladen, der Kämmerer hatte ohne Zögern den Kaufpreis beglichen. Auf Wendels Frage, wann der Liefervertrag endgültig gesiegelt werden würde, wich der Kämmerer jedoch aus. Das müsse Graf Ulrich entscheiden, und den erwarte man erst am Abend des nächsten Tages, behauptete er.
Wendel und seine Männer hatten eine angenehme Nacht verbracht und waren schon im Morgengrauen zur Adlerburg aufgebrochen.
Einmal hatten ihnen auf einer Lichtung ein paar abgerissene Gestalten den Weg versperrt, doch als die Söldner in Stellung gegangen waren und ihre Armbürste gespannt hatten, waren sie davongelaufen wie die Hasen. Alle hatten gejubelt, als hätten sie ein ganzes Heer Sarazenen in die Flucht geschlagen. Dennoch hatte es in der Schlacht, die gar nicht stattgefunden hatte, beinahe einen Toten gegeben: Ein Mann hatte vergessen, die Armbrust zu entspannen, der Bolzen war losgegangen und nur wenige Zentimeter neben dem Kopf eines Fuhrmanns ins Holz eingeschlagen. Nachdem der Schreck vorüber und das folgende Gelächter verklungen war, hatte Wendel dem Fuhrmann zwölf Heller aus dem Sold des vergesslichen Kriegers zugesprochen. Schlimmer als die Strafe war der Spott der Kameraden gewesen, die ihn den Rest der Reise immer wieder damit aufgezogen hatten.
Von Urach war es die Erms entlanggegangen bis nach Tuntzlingen am Neckar, wo es keine Brücke gab. Also hielten sie sich rechts des Flusses, bis sie die Furt kurz vor Tagelvingen erreichten. Von hier führte eine Handelsstraße nach Norden. Bei Aichaha durchquerten sie die Aich, an der es dann noch ein Stück entlang Richtung Westen ging, bevor sie den beschwerlichen Weg hinauf zur Adlerburg nehmen mussten, der zwar gut befestigt, aber steil war und den Männern und Tieren alles abverlangte.
Die Zugbrücke war heruntergelassen, und das Tor stand offen. Der Tross war offenbar schon von weitem entdeckt und als ungefährlich eingestuft worden. Wendel preschte nach vorne, die Wachen traten zur Seite und ließen ihn auf das Plateau. Wieder staunte Wendel. Mitten auf dem Platz war eine Bühne aufgebaut, Bänke und Tische standen davor, und mit dem Rücken zum Haupthaus der Burg, das durch einen Graben vom Plateau getrennt war, hatte de Bruce sogar eine Tribüne errichten lassen, geradeso wie auf einem Ritterturnier.
Wendel blickte sich um. Von einem Fest war nicht die Rede gewesen. Auf der Bühne stand ein Mann. Wendel kniff die Augen zusammen, um ihn besser zu sehen. Ihm stockte der Atem: Richard von Alsenbrunn! Zweifelsfrei der beste Sänger des ganzen Reiches, seine Reime ließen Mauern erzittern und Herzen frohlocken. Einen Mann wie Alsenbrunn lud man nicht einfach zum Abendmahl ein. Der verkehrte am Hof des Königs und besaß Lehen, die mehr Fläche einnahmen als Esslingen und Reutlingen zusammen. Ihn einzuladen kostete ein Vermögen.
»Schließt Eure Luken, sonst findet Ihr plötzlich ungebetene Gäste darin!«
Ertappt schloss Wendel den Mund und wandte sich um. Ottmar de Bruce kam auf ihn zu, seine Wolfshunde im Gefolge, und streckte ihm die Hand entgegen. Wendel drückte sie kräftig.
»Ihr seid wohlbehalten eingetroffen«, stellte de Bruce das Offensichtliche fest. »Und die Fässer ebenfalls, nehme ich an?«
Wendel deutete eine Verbeugung an. »Natürlich, Graf. Menschen sind entbehrlich, Wein jedoch nicht.«
De Bruce begann zu lachen, es hörte sich an wie das ferne Grollen eines Gewitters, das sich anschickt, über Land und Leute herzufallen. »Ihr seid aus dem richtigen Holz geschnitzt, Füger, und kennt Euch aus in den Dingen des Lebens, das gefällt mir. Ihr bleibt doch bis morgen? Seid mein Gast!«
Der Graf wollte weitergehen, ohne die Antwort abzuwarten, aber Wendel hob seine Rechte, nur eine Handspanne weit, sodass es nicht als Drohung ausgelegt werden konnte. »Eine Frage, Graf, wenn Ihr erlaubt.«
De Bruce schwieg. Über seine Miene huschte ein Schatten des Misstrauens, einer der Hunde begann zu knurren. Kaum sichtbar nickte er. Wendel deutete zur Bühne, und der Burgherr entspannte sich erkennbar.
»Ah! Natürlich. Ihr wollt meinen Ehrengast kennenlernen. Kommt mit, ich werde Euch vorstellen.«
Es war tatsächlich Richard von Alsenbrunn. Wendel hatte sich nicht geirrt. Aber der Sänger war auch
Weitere Kostenlose Bücher