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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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geworden, die Nase spitz wie bei einer Maus, die Haut grau, und darunter stachen die Knochen hervor.
    Vorsichtig strich sie ihm über die Stirn. Er schrak zusammen und riss die Augen auf. Ein kaum erkennbares Lächeln glitt über seine Züge.
    Sie legte ihm die Hand auf die Stirn. »Ich bin bei dir, Raimund Magnus«, flüsterte sie, fuhr mit ihren Fingern die Konturen seines Gesichtes nach. Er schloss die Augen, atmete ruhig. Sie holte das Wasser, das inzwischen warm war, und wusch ihn, kochte einen Haferbrei mit etwas Milch und Honig, doch Raimund aß nur wenig. Sein Blick flackerte, mit der Hand zeigte er an, dass er ihr etwas sagen wollte.
    »Was denn?«, fragte sie.
    Er malte mit bebenden Fingern ein Zeichen in die Luft.
    Rasch stand Melisande auf und holte ihre Wachstafel. »Meinst du das? Möchtest du die Tafel haben?«
    Raimund nahm den Griffel und setzte an, aber es kamen nur ein paar sinnlose Linien dabei heraus.
    »Versuch es noch einmal.« Melisande glättete das Wachs, hielt ihm die Tafel erneut hin. Schweiß trat ihm auf die Stirn, seine Hand zitterte. Jede seiner hilflosen Bewegungen tat ihr in der Seele weh. Sieben Mal setzte er an, dann endlich konnte sie einige kaum lesbare Zeichen erkennen: »Ho Hnrih.«
    Melisande studierte die krakeligen Buchstaben, dann begriff sie. »Du möchtest, dass ich Meister Henrich herhole? Ist es das?«
    Mit einer Handbewegung bejahte er.
    »Aber er kann erst frühestens bei Einbruch der Dunkelheit hier sein, das weißt du? Er kann unmöglich am helllichten Tag das Haus des Henkers betreten.«
    Wieder deutete Raimund mit der Hand seine Zustimmung an. Dann schloss er erschöpft die Augen. Sein Atem ging schwer und keuchend.
    Melisande ahnte, was das zu bedeuten hatte. Raimund würde sterben. Ein heftiger Schmerz jagte ihr durch den Brustkorb, gleichzeitig jedoch überkam sie Erleichterung. Immerhin würde Raimund nicht mit ansehen müssen, was mit ihr geschah.
    Bei ein paar Humpen Bier im »Eber« hatte sie nachgedacht und beschlossen, sich nicht auf Geschäfte mit Konrad Sempach einzulassen. Nein, ein Bündnis mit diesem Widerling kam nicht infrage – selbst wenn es ihr das Leben retten könnte. Wenn sie einmal damit anfing, wäre sie ihm auf alle Zeit ausgeliefert. Ihre Schuld würde sie selbst begleichen, egal, welchen Preis man von ihr verlangte.
    Sie hatte sich nichts vorzuwerfen. Als Henker hatte sie mehr als ein halbes Dutzend Menschen in den Tod geschickt, doch nie zu ihrem eigenen Vorteil. Alle waren Verbrecher gewesen, ordnungsgemäß in einem Gerichtsprozess verurteilt. Sie hatte nur ihre Pflicht getan, so wie Gott und das Gesetz es von ihr verlangten. Doch bei dem, was Sempach von ihr verlangte, waren weder Gottes Gesetze noch die der Menschen auf ihrer Seite. Konrad Sempach ein Mädchen zu schicken bedeutete, es einem qualvollen Tod zu überlassen. Das war eine Todsünde vor Gott, der sie dafür zu Recht in die Hölle stürzen würde. Dann aber würde sie ihre Familie nie wiedersehen.
***
    Den ganzen Tag über hatte der Regen gegen die Burgmauern gepeitscht, hatte der Wind durch die Ritzen und Winkel im Gemäuer gepfiffen und geheult. Jetzt aber hatten sich die Wolken verzogen, es war Ruhe eingekehrt, und die Sonne sank wie ein roter Feuerball auf die Hügelkette in der Ferne nieder.
    Ottmar de Bruce wandte ungehalten den Blick von dem prächtigen Schauspiel ab, als es an der Tür zu seinen Gemächern klopfte. »Was ist denn?«, rief er und ballte die Fäuste.
    »Frau Emelin möchte Euch sprechen, Herr«, erklang zaghaft die Stimme seines Pagen durch die Tür. »Soll ich sie hereinführen?«
    De Bruce stapfte auf die Tür zu und stieß sie auf. Vor ihm stand Mathis, der junge Bursche, der erst seit wenigen Wochen in seinen Diensten stand, wieder eine Gefälligkeit, die er einem befreundeten Grafen erwies.
    Verlegen sah der Junge de Bruce an. Hinter ihm stand die alte Frau, mit gebeugtem Rücken und auf einen Stock gestützt, doch mit wachsamen, hellen Augen. »Zürnt nicht dem Jungen, Ottmar, er handelt auf meine Anweisung«, sagte sie mit fester Stimme.
    »Er soll auf meine Anweisung handeln«, gab de Bruce zurück. »Er ist mein Page.«
    Emelin trat vor. »Wollt Ihr Eure alte Amme hier im zugigen Flur stehen lassen? Wo bleibt Euer Benehmen, Ottmar de Bruce?«
    Der Page machte einen Schritt zurück, de Bruce warf ihm einen bösen Blick zu, wandte sich dann an Emelin. »Ihr habt ganz recht, liebste Amme. Verzeiht mir. Kommt herein.« Er reichte ihr den Arm,

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