Henkersmahl
drei Stunden, kein Grund zur Eile. Nach dem Besuch in der Rechtsmedizin empfand er jeden Schritt an der frischen Luft als Wohltat. Obwohl die letzten Sonnenstrahlen längst hinter der Häuserzeile verschwunden waren und er in seiner dünnen Wildlederjacke zu frösteln begann, bereitete ihm die Tatsache, dass er heute früh nicht wie sonst den gefütterten Trenchcoat angezogen hatte, eine heimliche Freude. Die Jacke gab ihm das Gefühl, den Frühling willkommen zu heißen. Während Florian tief und genussvoll die Luft in seine Lungen sog, erfasste ihn plötzlich eine deutliche Sehnsucht nach unbeschwerten Zeiten.
Die kleine Holzkiste, die Anna ihm zugesteckt hatte, hielt er fest an den Körper gepresst. Als sein Handy klingelte, war er unschlüssig, ob er den Anruf überhaupt annehmen sollte. Schließlich angelte er aber doch in den Tiefen seiner Jackentasche nach dem Gerät, das zwischen benutzten Tempotaschentüchern, Kugelschreibern und labberigen Zettelfetzen zum Vorschein kam. Doch der Anrufer hatte bereits aufgelegt. Als er Janas Nummer auf dem Display sah, war er schlagartig wieder ganz bei der Sache. Er setzte die Holzkiste auf einem Metallkasten, der am Bürgersteig stand, ab und rief zurück. Während er auf das Freizeichen wartete, musste Florian schlucken. Ihm war bewusst, dies war das erste Mal, dass er seit dem Kuss wieder mit Jana sprechen würde.
Sie nahm ab und kam ohne Umschweife zur Sache. »Rössner war heute Vormittag mit der Spurensicherung in Max’ Wohnung.«
»Das überrascht mich nun nicht«, erwiderte er.
»Aber das heißt, die Ermittlungsmaschinerie läuft auf Hochtouren. Sie haben Gläser, Teller, Flüssigkeiten, Tablettenröhrchen, Medizinflaschen und so weiter sichergestellt, lauter Dinge, die Max kurz vor seinem Tod benutzt hat. Auch seine Bettwäsche und schmutzige Kleidungsstücke haben sie mitgenommen. Fotoapparat, private Unterlagen und seinen PC sowieso. Zwei Beamte kamen zu uns ins Büro und haben Fragen gestellt. Die werden sich bestimmt bald bei dir melden, Regine hat ihnen deine Nummer gegeben.«
Florian stöhnte. »Ich habe überhaupt keine Lust auf ein Gespräch mit der Kripo.«
»Sie suchen jetzt mit Sicherheit nach der unbekannten Stimme vom Anrufbeantworter«, mutmaßte Jana und sagte: »Ich bin leider noch nicht fündig geworden.«
»Du versuchst es doch weiterhin?«
»Klar. Meinst du, du verkraftest die Top-News des Tages?«
»Schieß los.«
»Es gibt einen dritten Toten.«
»Hatte schon das Vergnügen«, sagte Florian nicht ohne Genugtuung.
»Wie bitte?«
»Ja.« Florian musste über Janas entgeisterte Stimme lachen, auch wenn es vielleicht etwas unpassend war. »Ich komme gerade aus der Rechtsmedizin und habe mit dem zuständigen Mediziner, einem gewissen Dr. Sinzig, über Max und Peter Mallmann gesprochen. Er war dabei, ein weiteres Opfer der vermeintlichen Nahrungsvergiftung zu sezieren. Sinzig war so freundlich, mir ein Stückchen Dickdarm vorzuführen und mich über die verschiedensten Symptome bei Vergiftung aufzuklären. Bei diesem Toten war übrigens kein Glutamatderivat nachweisbar, und auch bei anderen Opfern nicht.«
»Merkwürdig.«
»Ich frage mich, welche Rolle der Alkohol spielt. Was haben die Opfer getrunken? Wein? Bier? Schnaps? Tranken sie alle das Gleiche?«
»Ich kümmere mich darum«, seufzte Jana resigniert, doch einen Moment später lachte sie leise auf. »Und? Wann hast du den Fall geklärt?«
»Da fragst du mich was. Immerhin hat Dr. Sinzig sich bereit erklärt, Max’ Blut in einem Speziallabor in Leipzig untersuchen zu lassen. Dort soll getestet werden, ob er vergiftet worden ist, mit Botulinumtoxin beispielsweise. Ich habe Sinzig von Max’ Recherchen und den Drohanrufen erzählt, und er hat meinen Verdacht, dass seine Recherchen etwas mit seinem plötzlichen Tod zu tun haben könnten, sehr ernst genommen.«
»Gut«, sagte Jana. »Sehr gut. Und ich dachte immer, mit Botox würde man Falten wegspritzen.«
»Das kann man auch, aber wahrscheinlich benötigt man dazu nur eine verschwindend geringe Dosis. Willst du Genaueres wissen? Ich kann Dr. Sinzig gern danach fragen.« Florian grinste.
»Ich spreche dich in zehn Jahren noch mal darauf an.« Jana lachte. »Ich habe übrigens Infos über den letzten Toten, auch wenn die Frage nach Max’ Todesumständen dich natürlich momentan weitaus mehr umtreibt. Willst du sie trotzdem hören?«
»Ja.« Florian war etwas verwirrt. Hatte der Kuss Jana kein bisschen verunsichert?
»Er
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