Henkersmahl
waren hier unter furchtbaren Qualen gestorben, ebenso unzählige Männer wegen mehr oder weniger schwerer Delikte.
An der Information des rechtsmedizinischen Instituts erfuhr Florian, wo er den zuständigen Mediziner finden würde. Es war bereits nach 17 Uhr, dennoch arbeitete Dr. Clemens Sinzig noch. Der Fahrstuhl entließ Florian in einen langen, von Neonlicht erhellten Flur. Von einem vorbeieilenden Kollegen erhielt er die Auskunft, dass Dr. Sinzig damit beschäftigt sei, eine Leiche zu sezieren. Das fahle Licht des Ganges mit seinen nackten Wänden, auf die sich nicht ein einziger Farbtupfer verirrt hatte, verstärkte Florians Beklemmung. Selbst ein dicker Blutfleck an der Wand wäre ihm willkommen gewesen.
Dr. Sinzig war vielleicht Anfang 50 und sah aus, als ertränke er den Frust täglicher Leichensektion in reichlich Alkohol. Sein Gesicht wirkte im Gegensatz zu seinem Körper, der groß und schlank war, aufgedunsen, die Augen waren blass und gerötet. Dr. Sinzigs bereits ergrauten Haare schienen eine Wäsche dringend nötig zu haben.
Unwillig sah der Mediziner von seiner Arbeit auf. »Was wollen Sie?«
Mit dem gewinnendsten Lächeln, das Florian aufbringen konnte, stellte er sich kurz vor und sagte: »Es wäre nett, wenn Sie mir weiterhelfen würden, es geht um Max Kilian.«
»Max Kilian? Der Redakteur von dieser Fernsehproduktion, der Anfang der Woche hier war und den ich gestern obduzieren durfte? Hätte er sich wohl auch nicht träumen lassen.«
Florian schluckte. Er sagte: »Genau der ist es.«
»Und was wollen sie von mir? Sind Sie ein Angehöriger?«
»Ein Freund und Arbeitskollege.«
»Wer hat Ihnen erlaubt, hier hereinzukommen?«
»Einer Ihrer Kollegen.« Florian log, ohne rot zu werden.
Die Antwort schien Dr. Sinzig halbwegs zu besänftigen, auch wenn es ihm sichtlich nicht passte, dass er bei der Arbeit gestört wurde. Florian hielt genug Abstand, um nicht genau sehen zu müssen, was Dr. Sinzig da gerade aus dem Brustkorb des Toten, der vor ihm auf dem Tisch lag, zutage förderte. Er versuchte, den Geruch einzuordnen, der ihm in die Nase stieg, und stellte fest, dass es nach inneren Organen roch, allerdings nur leicht. Nicht so schlimm, dass ihm von dem Gemisch übel wurde.
»Zuerst hieß es, er sei an Herzversagen gestorben, hervorgerufen durch zu starke körperliche Belastung. Gilt das, nachdem Sie ihn obduziert haben, immer noch?«
»Fest steht, dass das Herz versagt hat«, antwortete Dr. Sinzig knapp.
»Aber Herzversagen kann durch vielerlei Ursachen hervorgerufen werden, nicht wahr?«
»So ist es.« Der Rechtsmediziner sezierte ungerührt weiter.
Florian hakte nach: »Mir ist bekannt, dass sich Spuren eines Glutamatderivats in Max Kilians und Peter Mallmanns Mägen nachweisen ließen.
»So?« Dr. Sinzig hob die rechte Augenbraue, was ihm einen verwegenen Ausdruck gab. »Inzwischen haben wir einen neuen Fall hereinbekommen.« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf den vor ihm liegenden Toten, dabei hielt er vorsichtig ein Stück Gewebe zwischen den Zangen eines Instruments geklemmt, das aussah wie eine Pinzette. »Das hier ist ein Stück Dickdarm. Daran kleben Partikel bereits weitgehend verdauter Nahrung, aber kein Glutamatderivat. Allerdings hat der Arme ganz schön einen gebechert, 1,3 Promille.«
»Dann ist es möglich, dass nicht das Glutamatderivat, sondern vor allem Alkohol im Zusammenhang mit den Erkrankungen eine Rolle spielen könnte?«
»Sie haben es erfasst. Aber die Betonung liegt auf könnte . Und welche Bedeutung das Glutamatderivat hat, bleibt weiterhin ungeklärt.« Der Arzt war im Zwiespalt. Einerseits hatte er kein Interesse, Florian und damit dem Fernsehen Informationen zu geben, die nicht gesichert waren, außerdem war dafür die Pressestelle im Haus zuständig. Andererseits fand er die bisherige Informationspolitik von Polizei und Krankenhausleitung zumindest diskussionswürdig. Er zögerte einen Moment, fuhr dann aber fort: »Ich muss Sie dennoch enttäuschen. Bislang haben unsere Untersuchungen keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Alkohol oder ein Glutamatderivat zum Tode führten. Die Toxizität ist in beiden Fällen zu gering. Das trifft auf alle Betroffenen zu. Kreislaufschwäche und Übelkeit sind wahrscheinlich, mehr aber auch nicht. Eine Intoxikation, also Vergiftung, ist übrigens häufig nur schwer nachweisbar. Äußerlich gibt es selten Symptome. Bei einigen Vergiftungen, und das sind die Ausnahmen, haben wir zwar manchmal Hinweise, die
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