Henningstadt
Henning fährt den Rechner hoch, um eine Verbin dung rauszusuchen.
Der Explorer öffnet www.henningstadt.de als Start seite. Wusste Henning gar nicht, dass seine Heimat so ein nettes Startportal hat. Bahn.de spuckt dann die ge wünsch te Info raus. Er kann alle zwei Stunden fahren, also kein Grund zur Eile.
Vielleicht ist Steffen aber doch bei diesem Lutz.
Henning geht ins Schlafzimmer, lässt sich aufs Bett fallen und riecht daran.
Er weiß nicht, ob es klug ist, Steffen hinterherzufahren, schließlich wollte der offensichtlich von Henning in Ruhe gelassen werden. Dazu hätte er aber nicht in die Haupt stadt fahren müssen. Er hat schon ein paar Mal gesagt, dass er keine Zeit hat, und Henning hat das ohne Wider spruch akzeptiert. Man kann wahrhaftig nicht sagen, dass er eine solche Klette ist, dass man Henningstadt seinet we gen fliehen muss. Von der Sache mit Lars kann Steffen nichts wissen, denkt Henning, und sie würde ihn auch wohl kaum so erschüttern, dass er wegf ä hrt. Er kennt Lars ja gar nicht — oder wen hat Lars alles auf dem Fried hof kennen gelernt?
Er zieht eine von Steffens gebrauchten Unterhosen an.
Am Bahnhof kommt er noch mal ins Schwanken, ob er wirklich fahren soll. Er hat noch eine Stunde Zeit, bis der Zug f ä hrt. Nach Ablauf der Stunde setzt er sich in den Zug. Er hat seine Eltern angerufen und ihnen gesagt: «Ich fahre nach Berlin; komme Montag zurück!» Schnell aufge legt, niemand hat widersprochen.
70
«Also, was machen wir mit dem schönen neuen Tag?»
«Sex», antwortet Steffen.
Tete stöhnt genervt, ringt die Augen über dem Kopf und verdreht die Gesichtsmuskulatur zu einer Grimasse tiefen Abscheus.
«Also schön. Du bist gekommen, um dir die Hörner ab zu stoßen», stellt sie fest.
«Was sollen wir denn sonst machen?»
«Wir könnten uns zum Beispiel unterhalten, wo du mich schon besuchst. Gestern war das noch der Grund, warum du gekommen bist.»
«Wir reden doch die ganze Zeit! — Kommst du dir ver nachlässigt vor? Ich bin mit Absicht zu dir gekommen, ich hätte auch bei Martin oder Alexander übernachten kön nen!»
«Schon gut!», sagt Tete. «Ich hör ’ s halt auch mal ger ne!» Sie schleicht aus dem Zimmer. Steffen geht hinter ihr her, umarmt sie von hinten und kratzt sie mit seinen Bart stoppeln liebevoll am Hals, verteilt ein bisschen Zuwen dung in der Wohnung. Sicher fünf Minuten stehen sie so da. Tete beruhigt sich und kuschelt sich an Steffen.
«Dann lass uns in den Park gehen!» Steffen ist einver standen. Sie nehmen einen Schirm für alle Fälle mit und holen sich unterwegs vier Büchsen Bier. Tete mag Steffen. Das ist die eine Sache. Das andere ist, dass sie es zwar nett findet, auf der linken Seite mit einem gut aussehenden Mann geschmückt durch die Gegend zu ziehen, aber nicht besonders begeistert davon ist, dass er Sex suchen geht, während sie an seiner Seite mitläuft. Er könnte sich ja mal nach rechts drehen, da wäre schon wer zu finden. Jedenfalls versuchen könnte man es ja noch mal, denkt Tete. Zumindest muss er nicht so raushängen lassen, dass er zwar mit egal wem ficken will, nur mit ihr nicht.
Steffen spinnt halt auch, denkt sie zu seiner Verteidi gung.
In solchen Situationen würde sie sich gerne daran erin nern können, was Schellenbaum gleich noch mal zu ano nymem Sex sagt. Was ist die Welt und ihr berühmtes Glän zen, denkt sie in allgemeiner Verzagtheit.
Aber der Gedanke an die Vergänglichkeit ist trüge risch, denn Tete wird es zu ewigem Ruhm bringen: Weil sie der ägyptischen Herrscherfamilie nebst der komplet ten Hauptstadt des Reiches am Nil das Leben gerettet hat, indem sie den geplanten Anschlag eines betrunkenen One-Night-Stands schließlich doch ernst genommen und die ägyptische Botschaft verständigt hat, hat man eine Büste nach ihrem Bilde machen lassen und ins Ägyptische Museum gestellt. — Der Herrscher Ägyptens war der Mei nung, sie lebt in Deutschland, also muss ihre Büste auch in Deutschland stehen, sonst hat sie ja nichts von der Ehrung. Generationen werden ihre Schönheit bewundern, und man wird sich fragen, warum einige Bänder auf ich rem Kopfputz erhaben gearbeitet sind und andere nicht.
Von ihrem Tagtraum gestärkt, lässt sie sich auf die Wiese fallen. Heldinnen müssen nicht immer graziös sein — die Jungs wissen das eh nicht zu schätzen.
Sie haben was zu Lesen mitgebracht und legen die Bücher aufgeschlagen vor sich auf die Decke. Sie plau dern ein bisschen. Steffen
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