Henningstadt
ning wirklich auf ihn abf ä hrt, und das heißt: auf seinen Körper, auf die Art, wie er sich bewegt, auf seinen Ge ruch. Auf all die Sachen, die man nie herstellen kann, wenn sie nicht da sind. Steffen liebt das Gefühl, gut im Bett zu sein. Weil er so wenig Vertrauen darin hat, auch ansonsten ein liebenswerter Mensch zu sein, ist ihm das ziemlich wichtig. Sie frühstücken lange und ausgiebig. Stef fen und Henning haben Brötchen geholt, damit Tete auch was von ihrem Besuch hat. Dann haben sie sich noch mal ins Bett verzogen. Tete ist zu einem Flohmarkt gegan gen. Entweder die beiden kommen nach, oder man trifft sich um acht zum Abendessen und zum Auftakt der ge mein samen Abendgestaltung. «Wir müssen nichts zusam men machen», hat Tete betont, aber Henning hat darauf bestanden, weil er Tete erstens nett findet und zweitens weiter kennen lernen will.
Zum Flohmarkt schaffen sie ’ s dann aber nicht mehr. Henning erzählt noch mal en detail die Geschichte mit sei nen Eltern, en detail, ohne Details zu kennen, die Ge schichte mit Lars. Sie rufen Isabell an. Lars ’ Zustand ist un verändert. Henning gesteht Steffen, Lars zum Friedhof geschickt zu haben.
«Wie — geschickt?», fragt Steffen überrascht.
«Lars hat mich gefragt, was es in Henningstadt für schwule Orte gibt, und ich hab ihm den Park schmackhaft gemacht. Also Friedhofs-Park.»
«Und du meinst, sonst wäre er nicht dahin gegangen?»
«Na ja, was weiß ich. Ich mach mir jedenfalls Vor wür fe.» Henning beißt sich auf die Unterlippe.
«Scheiße gelaufen!», stellt Steffen fest. «Viele benutzen das Stück als Abkürzung.»
«Ja, sicher.»
Henning steht auf. «Lass uns irgendwas machen.»
«Wie wär ’ s mit einkaufen im Spätkauf? Und durch die Gegend bummeln.» Die beiden gehen also einkaufen. Kochen, essen mit Tete.
Tete schlägt vor, zu einer Ausstellungs-Party in der Je ru salem-Kirche zu gehen.
Ein, sagen wir, barocker Bau. Die Sonne ist unter ge gangen und die Kirche mit Bäumen drumrum sieht ro man tisch aus. Sie ist runtergekommen, verfällt aber in Würde. Und war auch schon zu DDR-Zeiten ein Begriff. Ein Turm steigt über dem Hauptportal auf. Sie ist das höchste gemauerte Gebäude der Hauptstadt. — Weil sie auf einem Hügel steht, aber immerhin. Ein hoher Kirch turm. Draußen und im verhältnismäßig großen Foyerbe reich stehen Leute mit Bierflaschen und anderen Geträn ken. Ein paar tanzen. Es gibt selbst gemachte Rock-Musik mit Anspruch. Sie holen sich Bier, alle drei. Und gehen etwas zaghaft mit ihren Bierflaschen in den Händen in das Kirchenschiff, um sich die Kunst anzusehen. Der Raum liegt in dämmrigem Licht.
Die Kunst hier setzt sich wohl aus Werken verschie de ner Künstler zusammen. Einer hat eine Art Göttin oder Idol in gewaltiger Überlebensgröße — vielleicht fünf Me ter — auf der Empore der Kirche aufgebaut. Ein anderer hat seinen Ehrgeiz darauf verwendet, Federn zu moto ri sieren, Vogelfedern. Eine wirklich beeindruckende Him mels leiter erstreckt sich vom Boden bis zur höchsten Stel le der Kirche. Auf jeder der Sprossen ist ein kleiner sich drehender Motor befestigt, auf den eine Feder gesetzt ist. Die Federn drehen sich in unterschiedlicher Geschwin digkeit. Die ganze Konstruktion ist aus dünnen Stahl sei len, also silbrig, und wird durch einen Spot von unten an ge strahlt. Ansonsten gibt es noch verschiedene kleinere Objekte unterschiedlicher Machart. Sehr schön. Dieser große Raum, dessen Putz teils malerisch abgebröckelt ist, der gar keine sakralen Gegenstände mehr enthält, außer einem künstlerisch gestalteten Kreuz im Chor, in dem man sich mit Bierflaschen aufhält und heimlich raucht, weil man nicht weiß, ob man darf oder will, weckt die Empfindung, rausgehoben zu sein aus dem Leben, das man ringsum führt.
Henning setzt sich in das Gestühl, das teilweise noch vorhanden ist, und starrt die rotierenden Federn an. «Gaaanz hoch», sagt er versonnen zu Steffen. Steffen nimmt Hennings Hand. «Mir ist eben eingefallen, dass ich schon mal hier war. Ich glaub, auch zu ‘ ner Ausstel lungs eröffnung oder Party oder so. Da konnte man den Turm hochgehen. Wollt ihr auf den Turm?»
«Darf man das?»
«Weiß nicht», sagt Steffen. Henning grinst. Sie gehen also zurück ins Foyer, wo sich die Eingangstür zum Glockenturm befindet. Eine ganz unscheinbare graue Tür ohne jeden Zierrat. Sieht aus wie eine Kellertür. Tete will nicht mitklettern. Sie hat auch nicht den ganzen Tag im Bett
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