Henningstadt
also zu Hause ein. Die Eltern sind etwas kurz angebunden, aber nicht unfreundlich. Er soll halt ge hen.
Es gibt ein opulentes Abendmahl für die wieder ver ein te Familie. Henning verspricht, so was nicht noch mal zu machen, weil der Vater als Gegenleistung anbietet, die Sache einfach zu vergessen. Also kein Donnerwetter. Na tür lich muss er mit seinen Eltern reden, und er erzählt, was ihm widerfahren ist und wie es in Berlin war. Das gute Essen, der Wein, den es dazu gibt, und die Freude über den guten Ausgang der Angelegenheit lassen gute Laune entstehen. Henning erzählt von Tete, von dem Schnitzel-Geschnetzelten, und dass sie gesagt hat, alle Män ner lieben gutes Essen. Rosi und Arnold lachen, dem können sie nur zustimmen.
Dann darf er sich zurückziehen und ruft Isa an. Isa hat irgendein Problem mit ihrem Lover Erik, der sich immer komischer benimmt. Henning kriegt aber nicht raus, wo rin das Komische seines Benehmens besteht, weil Isa es auch nicht weiß. Henning schlägt vor, dass sie sich eben erst mal noch näher kennen lernen müssen und Erik viel leicht nicht mit ihr zusammen sein will, oder nicht so eng.
«Deshalb könnte er mich aber trotzdem zurückrufen!» Sie haben sich zuletzt an dem Abend gesehen, als Hen ning dabei war. «Das könnte er allerdings ma chen », stimmt Henning zu. Henning ist froh, dass er sie wie der hat. Und er ist sehr für ihre Verbindung mit Erik, weil ihn dieses Glück aus einer ungeliebten Pflicht löst.
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«Tschöhös», ruft Henning in die Küche, wo seine Mut ter gerade ein Zigarettchen raucht.
«Wohin geht ’ s denn?», fragt sie mit kräftiger Stimme, damit er nicht fortstürmt.
«Es ist Sonntag. Zur SIH. Weißt du doch.»
«Ja», sagt Rosi langsam und gedehnt. Sie steht auf, nimmt das Spültuch und wischt den Boiler ab. Henning merkt, dass sie noch was will und bleibt in der Tür ste hen. Sie sieht ihn nicht an.
«Ja, sag mal», setzt Rosi wieder an. Gleichzeitig wen det sie sich mit Konzentration und Ernst dem verchrom ten Wasserhahn zu, den sie zu polieren beginnt.
«Sag mal, ist dir das da nicht unangenehm — » Sie macht eine Pause. Henning will einfach irgend woanders sein. Was hat sie? «— da so von allen bepatscht zu wer den?»
«Was!», entfahrt es Henning entgeistert.
Jetzt dreht sie sich um, die Augenbrauen aggressiv zu sammengekniffen fixiert sie Henning. Der holt Luft.
«Wir patschen uns da nicht an.»
«Nicht?»
«Nein.»
Sie wischt wieder.
«Ich geh dann.»
Sie gibt keine Antwort. Sie glaubt ihm nicht.
An der Wohnungstür hört er doch noch ihr Tschüs.
77
Erik sitzt auf seinem Stuhl. Sie kommt auf ihn zu. Lang sam. Ihre Hüften schwingen. Sie kommt auf ihn zu. Sie kommt näher. Sie hat große, runde Brüste. Sie ist auf ein paar Schritt heran.
Sie steht vor ihm. Sie lächelt dieses rote Lächeln. Sie lächelt Luft ein. Sie h at Feuer, sie gibt ihm einen Namen, sie weiß wie viel Uhr es ist und was sie will.
Sie will ficken.
Er kann mit Frauen umgehen. Er weiß, wo bei Frauen der Schalter ist, und er benutzt ihn.
Die Luft knistert, er hat den Fernseher ausgemacht.
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Lieber Henning!
Es gibt verschiedene Theorien darüber, welche Hal tung man der Welt gegenüber einnehmen sollte. Manche halten Schluchzen für die Lösung, manche halten Lachen für die Lösung, ich eine steinerne Miene, die sich gele gent lich zu einigen spitzen Schreien verzerrt. Von daher ist es gut, wenn du dich bewegst. Jede Bewegung ist gut!
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Steffen und Henning stehen an der Eingangspforte des Friedhofs. Gusseisen. Henning zieht ein süß-saures Ge sicht. Es ist ihm nicht wohl dabei, sich hier aufzuhalten, gleichzeitig findet er seine Angst albern.
Steffen hat der Ehrgeiz gepackt: Er will wissen, was hier los war. Und Henning plagt ein schlechtes Gewissen. Sie haben sich erkundigt: Wacht man aus dem Koma auf, kann alles Mögliche passieren: man kann sich langsam er holen und man kann ballaballa bleiben. Auf jeden Fall kann es zu allen möglichen Formen von Amnesie kom men, so dass überhaupt nicht klar ist, ob Lars erzählen kann, wer ihn niedergeschlagen hat. Und noch ist er nicht aufgewacht.
Die Sonne scheint, und die beiden laufen im T-Shirt rum. Es ist hier ziemlich ruhig. Ein sanft gewölbtes Rasen stück liegt vor der ersten Gräberreihe. Die Anlage ist ins gesamt sehr gepflegt. Einige wirklich alte Gräber mahnen den Verweilenden, sich nicht an Prunk und Pracht dieser
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