Henry dreht Auf
oder?«
»ÜD?«
»Überdosis.«
»Natürlich. Sie werden doch nicht allen Ernstes unterstellen wollen, Miss Lynchknowles könnte an etwas anderem als ...« Inspektor Flint fingerte an seinem Schnurrbart herum. »Ich sehe mich nicht in der Lage, irgend etwas zu unterstellen. Noch nicht. Ich frage mich nur, warum Sie behaupten, sie sei an Drogen gestorben.«
»Weil Mrs. Bristol gesehen hat, wie sich ein Mädchen im Lehrerinnen-WC etwas spritzte, und daraufhin Wilt geholt hat...«
»Warum ausgerechnet den? Wilt wäre der letzte, den ich holen würde.«
»Mrs. Bristol ist Wilts Sekretärin«, sagte der Stellvertretende und ging dann dazu über, Flint den verworrenen Hergang der Ereignisse zu erklären, der mit grimmiger Miene zuhörte. Erbaut zeigte sich der Inspektor lediglich von jenem Teil der Geschichte, in dem Miss Hare Flint fertiggemacht hatte. Anscheinend war das eine Frau ganz nach seinem Herzen. Der Rest entsprach seinen Vorurteilen gegenüber der Berufsschule. »Eines ist sicher«, sagte er, als der Stellvertretende seinen Bericht beendet hatte, »ich ziehe keinerlei Schlußfolgerungen, bevor ich nicht eine gründliche Untersuchung durchgeführt habe. Und wenn ich gründlich sage, dann meine ich das auch. So, wie Sie die Sache dargestellt haben, ergibt es keinen Sinn. Ein nicht identifiziertes Mädchen verpaßt sich in der Toilette einen Schuß, und als nächstes wird Mrs. Lynchknowle tot im Heizungskeller aufgefunden. Wieso gehen Sie eigentlich davon aus, daß es sich um dasselbe Mädchen handelt?«
Der Stellvertretende meinte, das erschiene ihm nur logisch. »Mir aber ganz und gar nicht«, sagte Flint. »Und was hat sie im Heizungskeller gemacht?«
Der Stellvertretende blickte unglücklich auf die Tür am Fuß der Treppe und widerstand der Versuchung zu sagen, sie sei gestorben. Beim Direktor mochte das noch angehen, aber Inspektor Flints Verhalten ließ nicht vermuten, daß er auf derartige Aussagen sonderlich freundlich reagieren würde. »Keine Ahnung. Vielleicht hatte sie einfach das Bedürfnis, einen dunklen, warmen Ort aufzusuchen.«
»Vielleicht auch nicht«, gab Flint zurück. »Aber wie dem auch sei, ich werde es bald wissen.«
»Ich hoffe nur, Sie werden diskret vorgehen«, sagte der Stellvertretende. »Ich meine, schließlich ist es eine sehr delikate ...«
»Scheiß auf Diskretion«, sagte Flint. »Was mich interessiert, ist die Wahrheit.«
Als zwanzig Minuten später der Direktor eintraf, zeigte sich nur allzu deutlich, daß Flints Suche nach der Wahrheit ziemlich beängstigende Dimensionen angenommen hatte. Tatsache war, daß Mrs. Ruckner, die mit den Feinheiten ethnischen Stickens besser vertraut war als mit Wiederbelebungstechniken, den Körper hinter den Heizungskessel hatte rutschen lassen. Daß man diesen daraufhin nicht sofort abgeschaltet hatte, verlieh der ganzen Szene einen makabren Anstrich. Flint hatte ausdrücklich verboten, die Tote von der Stelle zu bewegen, bevor nicht der Photograph in Aktion getreten war, der sie aus jedem nur erdenklichen Blickwinkel ablichtete. Über den Polizeiarzt hinaus hatte der Inspektor auch noch gerichtsmedizinische Spezialisten und Fingerabdruck-Experten vom Morddezernat angefordert. Auf dem Parkplatz standen ein Krankenwagen und jede Menge Polizeifahrzeuge, und innerhalb der Gebäude wimmelte es nur so von Uniformierten. Und all das passierte vor den Augen der Schüler, die sich zu den Abendkursen einfanden. Dem Direktor kam es vor, als verfolge der Inspektor die Absicht, möglichst viel unliebsame Aufmerksamkeit auf die Sache zu lenken.
»Ist der Mann denn übergeschnappt?« fragte er verärgert seinen Stellvertretenden, während er über ein weißes Band stieg, das jemand vor den Stufen zum Heizungskeller ausgelegt hatte. »Er sagt, er behandelt das Ganze so lange wie einen Mordfall, bis sich das Gegenteil herausgestellt hat«, entgegnete der Stellvertretende kläglich. »Ich an Ihrer Stelle würde übrigens erst gar nicht da hinuntergehen.«
»Warum zum Teufel denn nicht?«
»Nun, zum einen liegt da eine Leiche, und ...«
»Ich war schließlich Soldat«, sagte der Direktor, der den Krieg mitgemacht hatte und dies bei jeder Gelegenheit anbrachte. »Kein Grund, zimperlich zu sein.«
»Wenn Sie meinen. Trotzdem ...«
Doch der Direktor war bereits die Treppe hinuntergeeilt und hatte sich in den Heizungskeller begeben. Wenige Sekunden später wurde er in recht elender Verfassung herausbegleitet. »Lieber Himmel! Sie hätten mir
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