Henry haut ab: Roman (German Edition)
werde ich tun.«
Sir George lächelte beinahe.
»Wohl kaum. Aber egal, ist schon in Ordnung. Ich habe schon ganz kurz befürchtet, dass du sagst, du bringst ihn hierher. Das hattest du zumindest angedeutet, als du losgefahren bist.«
»Ach, immer bist du so pessimistisch. Und du hältst mich für blöd.«
»In mancher Hinsicht …« Er seufzte. »Na, was soll’s. Was soll das heißen, dein vermaledeiter Sohn soll Unterricht bekommen?«
Jetzt war Clarissa an der Reihe zu seufzen.
»Er ist auch dein Sohn. Zumindest dem Namen nach. Es mag dir nicht sonderlich gefallen, aber Tatsache ist und bleibt, dass Edward dein Stiefsohn ist.«
»Ich weiß. Genauso wie ich weiß, dass dein erster Ehemann auf einem unbeschrankten Bahnübergang gestorben ist … und das kann ich ihm nicht verdenken.«
»Und was genau willst du damit sagen? Ist das wieder eine von deinen garstigen Bemerkungen über Edward?«
»Doch nicht über den lieben kleinen Eddie, wie du ihn so gern nennst.«
»Ich nenne ihn nicht Eddie, und er ist absolut nicht klein, wie du sehr gut weißt … aber was genau kannst du meinem verstorbenen Mann nicht verdenken? Immerhin war er nicht knauserig mit dem Geld.«
»Eben. Obgleich ich es ihm nicht vorwerfe, dass er übertrieben großzügig war und deinen lächerlichen teuren Vorlieben nachgegeben hat. Ich meine, dass ich es ihm nicht verdenken kann, dass er sich das Leben genommen hat. Ich hatte selbst schon ein paar düstere Gedanken zu diesem Thema, aber alles in allem bin ich dagegen, dich als wohlhabende Witwe zurückzulassen, wie er es getan hat, der Idiot. Und ich will verdammt noch mal nicht, dass dein schrecklicher Bengel Eddie meinen Besitz erbt.«
»Worüber redest du eigentlich?«, fauchte Lady Clarissa. »Mein erster Mann ist bei einem schrecklichen Unfall unter den Fünf-Uhr-Zug von Fakenham geraten.«
»Papperlapapp, und das weißt du ganz genau! Diese Geschichte wurde doch nur wegen der Versicherung in Umlauf gebracht, meine Liebe. Wenn bekannt geworden wäre, dass er Selbstmord begangen hat, hättest du keinen Penny bekommen. Ich dachte, das hättest du begriffen.«
»Das ist typisch für dich, immer nur das Schlimmste anzunehmen!«, rief sie und marschierte hinaus, um ein paar Minuten später zurückzukommen. »Wo ist die Köchin? Ich möchte Tee.«
Sir George stand auf und rückte das Porträt seiner Mutter zurecht, das über dem Kamin hing.
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich verhökert sie ihren Hintern in Norwich. Da stehen bestimmt viele Kerle auf dünne Frauen. Kurz gesagt, ich habe sie rausgeschmissen.«
»Rausgeschmissen?«
»Musst du eigentlich alles wiederholen, was ich sage? Ja, ich habe sie rausgeschmissen. Es tut mir leid, aber du wirst den Tee wohl selbst machen müssen. Oh, und mach ihn stark. Ich kann dünnen Tee nicht ausstehen.«
Lady Clarissa setzte sich auf eine Chaiselongue am Fenster und starrte böse auf den Rücken ihres Mannes.
Sie hatte gehofft, er würde gut gelaunt sein, wenn sie zurückkehrte. Stattdessen war er in einer seiner schwierigsten Stimmungen. Hätte sie doch nur einen liebenswürdigeren Mann geheiratet!
»Darf ich fragen, warum du sie hinausgeworfen hast? Vielleicht, weil sie schlank war und auch schlank geblieben ist, trotz all deiner Versuche, sie zu mästen? Also, ich koche jetzt eigenhändig eine Kanne Tee, aber ich will verdammt sein, wenn ich dir auch einen mache! Und wo wir gerade vom Gewicht reden, heute Abend kannst du auch ein bisschen abnehmen, ich werde nämlich ganz sicher kein Abendessen machen. Du kannst hungern.«
»Oh, ich gehe heute Abend essen«, antwortete er lächelnd und drehte sich zu ihr um. »Ja, ich denke, es ist Zeit, dass ich ein Bad nehme und mich umziehe.«
Und damit schlenderte er hinaus.
In der Küche weigerte sich Clarissa standhaft, sich vom Verhalten ihres Mannes aus der Fassung bringen zu lassen. Gott allein wusste, mit wem er heute Abend ausgehen würde! Dann würde er nach Hause kommen und wie üblich in seinem eigenen Zimmer schlafen. Und mit etwas Glück, plus der Unterstützung durch seinen üblichen, exzessiven Genuss von Verdauungs-Brandys nach dem Essen, würde er gut schlafen und morgen früh ihren Plänen aufgeschlossener gegenüberstehen. Da war sie unbesorgt.
Wilt war ebenfalls unbesorgt. Mit dem alten Coverdale zu reden hatte ihn aufgeheitert. Und je länger er darüber nachdachte, desto interessanter fand er es, einmal zu sehen, wie der Landadel so lebte. Und North Fenland gehörte zu den
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