Henry haut ab: Roman (German Edition)
Besitz herumzutreiben«, setzte er wenig folgerichtig hinzu. »Ich habe ihm immer wieder gesagt, er soll sich fernhalten, das weißt du ja. Wie dem auch sei, da bist du je endlich wieder. Wie geht’s deinem Onkel in dem neuen Altersheim? Amüsiert er sich?«
»Ganz und gar nicht, muss ich leider sagen. Nein, er hat mich sogar im Hotel angerufen und sich über den Verkehrslärm beschwert und darüber, dass der Brigadier über ihm ausgerechnet in dem Moment aus dem Bett gefallen ist, als Onkel Harold sich gerade schlafen gelegt hatte. Und sie konnten ihn nicht in den Aufzug kriegen, weil er zu groß war. Und die Heimleiterin hätte gesagt, er sei ein böser Junge, als er sie gebeten hat, den anderen zu sagen, sie sollten nicht solchen Lärm machen. Außerdem gefällt es ihm auch nicht, dass das Heim ›Letzter Zapfenstreich‹ heißt. Er sagt, das sei morbide. Oh ja, und außerdem verabscheut er es, in einem Kleidungsstück zu schlafen, das er ein ›vorzeitiges Totenhemd‹ nennt.«
»Ein vorzeitiges Totenhemd? Was zum Teufel ist das?«
»Ein langes Nachthemd. Weil er nur ein Bein hat, dachten sie, es wäre praktischer als ein Schlafanzug. Anscheinend haben sie ihm auch gesagt, dass er mit einem Katheter besser dran wäre, aber dagegen sperrt er sich auch. Ich verstehe gar nicht, warum.«
Sir George verstand das sehr wohl, doch er würde nicht darüber streiten. Er hatte einmal nach einer Operation einen Katheter gelegt bekommen und wünschte diese Erfahrungen niemandem, nicht einmal Onkel Harold, armer alter Sack, der er war. Er beschloss, das Gespräch auf ein angenehmeres Thema zu lenken.
»Übrigens habe ich eine exzellente Köchin gefunden«, sagte er. »Sie ist seit Freitag hier, und bei Gott, sie ist wirklich ziemlich außergewöhnlich! Philomena Jones heißt sie, aber es macht ihr nichts aus, Philly genannt zu werden. Was sie mit einer Gans machen kann, ist wirklich bemerkenswert …«
Lady Clarissa versuchte dahinterzukommen, was man mit einer Gans noch machen konnte, außer sie im Ofen zu braten. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass man sie in der Pfanne oder im Topf zubereiten könnte.
»Erst schmiert sie sie mit ausgelassenem Speck und Butter ein. Das nennt sie ›schmätzen‹. Dann füllt sie sie mit Paté aus Gänsestopfleber und Blutwurst und … ach ja, das habe ich vergessen. Sie schneidet Kopf und Hals erst ab und setzt sie dann wieder an, bevor sie die Gans serviert. Sie ist künstlerisch extrem begabt. Zum Nachtisch durfte ich gestern Abend zwischen Zabaglione und Plumpudding wählen, und dann gab’s einen Limburger Käse, wie ich noch nie einen gekostet habe.«
»Das kann ich mir gut vorstellen. Ich hab mal einen probiert und fand ihn absolut widerlich. Schon der Geruch hat gereicht, um mir das Zeug fürs ganze Leben zu verleiden«, erwiderte Lady Clarissa schaudernd.
»Das ist wahrscheinlich ein anerzogener Geschmack, aber ich kann dir sagen, dass ich in meinem ganzen Leben noch nie so gut zu Mittag und zu Abend gegessen habe wie an diesem Wochenende. Gans, Ente, Rebhuhn, Fasan … was immer du willst, Philly kann es zubereiten. Natürlich variiert sie die Füllung. Einmal hat sie gebratene Schnecken mit Knoblauch gemischt und …«
»Moment mal. Sag mir nur, wo sie die Schnecken herbekommt. Ich hoffe doch aus einer Dose?«
»Um Himmels willen, nein. Sie geht in den Küchengarten und sammelt sie. Vom Land leben und all das. Philly ist eine Sammlerin, Clarissa. Und eine verdammt gute. Gestern hatten wir als Vorspeise gefüllte Igelbrust. Natürlich hat sie ihn in Lehm gebraten, um die Stacheln abzukriegen. Überaus köstlich.«
»Und ohne Zweifel extrem gesund«, bemerkte Lady Clarissa sarkastisch. »Mit anderen Worten, ich muss dich nur mal ein paar Tage hier allein lassen, und du ignorierst sämtliche Anweisungen der Herzspezialisten, nicht viel Fett zu essen und dich so oft wie möglich an Huhn und Fisch zu halten. Stattdessen komme ich nach Hause und erwische dich dabei, wie du dich mit ganz sicher tödlichen Gerichten vollstopfst, ganz zu schweigen von den ekelerregenden Zutaten. Und wo um Himmels willen hast du diese Myra Hindley der Küche gefunden?«
Sir George lächelte.
»Tja, im Gericht. Sie war wegen Wilderei zu einem Monat gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. Um Geld zu sparen, habe ich sie hierhergeholt, damit sie ihre gemeinnützige Arbeit ableisten kann, was bedeutet, dass sie außerordentlich günstig ist. Ja, sie kostet im Grunde überhaupt nichts, außer
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