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Henry haut ab: Roman (German Edition)

Henry haut ab: Roman (German Edition)

Titel: Henry haut ab: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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einmal dort eingerichtet hatte, würde sie ihn nicht mehr aus den Augen lassen.

8
    Onkel Harold – oder der Colonel, wie er genannt zu werden verlangte – verlebte ganz und gar keine angenehme Zeit im Letzten Zapfenstreich. In der zweiten Nacht war er gerade in seinem Zimmer im Erdgeschoss eingeschlafen, als er durch einen lauten Aufprall über ihm geweckt wurde – jemand, der aus dem Bett gefallen war, nahm er an –, gefolgt von den eiligen Schritten der Heimleiterin. Er konnte nicht verstehen, worüber die Männer vom Rettungsdienst redeten, als sie die Treppe hinaufgingen, in genagelten Stiefeln, wie es sich anhörte. Aber bald folgten ihnen verschiedene andere, einschließlich eines Arztes, der lautstark von der gegenüberliegenden Straßenseite herbeordert wurde. Sie alle blieben eine Ewigkeit in dem Zimmer über ihm, anscheinend ständig in Bewegung, und als sie schließlich herauskamen, drang die taktlos laute Stimme des Arztes vom Flur herein. »Vielleicht können sie im Krankenhaus ja etwas für den armen alten Kerl tun, auch wenn ich das stark bezweifle. Wie um Himmels willen ist er so aus dem Bett gestürzt?«
    »Hat wahrscheinlich vergessen, dass er einen Katheter hatte, und wollte pinkeln gehen. Er ist sehr vergesslich, unser Brigadier. Und bockig noch dazu.«
    »War, so wie’s aussieht«, verkündete der Arzt.
    »Muss sich den Kopf am Nachttisch angeschlagen haben, als er gestürzt ist.«
    Fünf Minuten später hörte der Colonel die Sirene eines Polizeiwagens näher kommen, und noch mehr schwere Schritte auf der Treppe. Warum konnten die nicht den Aufzug nehmen? Fünf weitere Minuten vergingen, dann taten sie genau das – oder versuchten es zumindest.
    »Er ist zu groß! Der passt niemals hier rein … hätte im Erdgeschoss wohnen müssen.«
    »Was? Damit ihn die Besucher hören, wenn er die ganze Zeit so unflätig flucht?«, empörte sich die Heimleiterin. »Außerdem bringen wir sowieso nur die allerschwierigsten alten Säcke da unten unter, damit sie es dem Personal nicht unnötig schwer machen können, das sie wecken und anziehen muss und so weiter.«
    Der Colonel beschloss, seine Gefühle kundzutun.
    »Ich bin kein schwieriger alter Sack!«, brüllte er und hörte jemanden sagen, er könne verstehen, was die Heimleiterin meinte.
    Gleich darauf öffnete sie die Tür und steckte den Kopf herein.
    »Keine Sorge«, gurrte sie in die Dunkelheit. »Seien Sie ein guter Junge und schlafen Sie einfach weiter.«
    »Ich bin weder ein Sack noch ein Junge«, schrie der Colonel. »Und schließlich habt ihr mich aufgeweckt, indem ihr die Treppen rauf- und runtergetrampelt seid, ohne auch nur einen Gedanken an andere zu verschwenden. Ich dulde das nicht länger, und Ihre verdammte Unhöflichkeit ebenso wenig, hören Sie mich? Sie werden mich in Zukunft ›Sir‹ nennen, wenn Sie mit mir reden. Und jetzt verpissen Sie sich!«
    »Wie ungezogen«, antwortete die Heimleiterin. »Garstige alte Männer, die sich nicht benehmen wollen, kriegen einen Katheter.« Und mit einem lauten Knall warf sie die Tür zu.
    Der Colonel verfluchte ausgiebig sämtliche Frauen, dann lag er da und dachte grimmig über seine Zukunft nach. Sie würde unangenehm sein, und wahrscheinlich kurz. Seine Gedanken wanderten zurück zu den Tagen, als er noch Autorität ausgeübt hatte. Das alles schien sehr lange her.
    Bevor er wieder einschlief, hatte er die Grundzüge eines Plans ausgearbeitet, wie er aus diesem Höllenloch entkommen könnte, vorzugsweise bevor die alte Schachtel irgendetwas unternehmen konnte, was mit Kathetern zu tun hatte. Er hatte sich daran erinnert, gehört zu haben, dass die Heimleiterin einen Sohn hatte, der Officer in einem Grafschaftsregiment gewesen war. Ein Mann dieses Kalibers würde jedem, der mit der Armee zu tun hatte, mehr Respekt entgegenbringen als dieser alten Hexe von einer Mutter. Es hatte keinen Sinn, sich auf Clarissas Wohlwollen zu verlassen: Als sie gekommen war, um ihn im Letzten Zapfenstreich unterzubringen, hatte sie ziemlich deutlich gemacht, das es entweder dieses Heim oder das »Ende der Reise« war, das sich noch gotterbärmlicher anhörte und wo man ihr zufolge das Krematorium praktisch riechen konnte, wenn dort viel Betrieb war.
    Nein, mit Clarissa war er durch. Er wusste ziemlich sicher, warum sie so regelmäßig zu Besuch kam, und das hatte nichts mit Liebe zu tun. Oder besser gesagt, nichts mit Liebe zu ihm.
    Wenn er jetzt diesem Kameraden aus der Army also nur eine Nachricht zukommen

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