Henry haut ab: Roman (German Edition)
Wirklichkeit war der Colonel mit dem Gesicht nach unten auf dem Teppich aufgefunden worden, das Gesicht knallrot und eine Faust noch wie im Zorn erhoben. Er nahm an, dass der arme Kerl zum Badezimmer hatte hinüberhüpfen wollen, da weder seine Krücken noch sein Holzbein irgendwo in der Nähe waren. Auch wenn es seltsam war, dass er im Fallen irgendwie die Telefonschnur herausgezogen hatte.
Als hätte Lady Clarissas Tag damit noch nicht schlimm genug begonnen, musste sie nun auch noch persönlich nach Ipford fahren, weil der Mann von der Werkstatt sich eine Sommergrippe eingefangen hatte.
Als sie am Hotel anlangte, war sie sehr verdrießlich gestimmt, hatte sich aber mit dem Hinscheiden des alten Herrn abgefunden. Sie würde nun keinen brauchbaren Grund mehr haben, nach Ipford zu fahren, aber andererseits würde Onkel Harold sie nicht länger schröpfen können. Sie marschierte geradewegs ins Büro des Hotelmanagers und sah, dass ein schwarzer Trauerflor seinen Anzugärmel zierte.
Er salutierte, als Lady Clarissa hereinkam, und sie zog eilig ein Taschentuch heraus, um ihre Freude zu verbergen und Tränen vorzutäuschen.
»Oh, der arme Onkel«, schluchzte sie. »Ich hatte so gehofft, ihn aus diesem schrecklichen Altersheim herauszuholen und in dieses entzückende Hotel einzuquartieren, würde seine Lebensgeister wieder wecken.«
Einen Augenblick lang war der Manager versucht, darauf hinzuweisen, dass seiner Meinung nach der alte Mann gestorben war, weil er seinen Lebensgeistern mit so vielen großen und überaus starken Whiskys Beine gemacht hatte.
Stattdessen sprach er ihr lediglich sein Beileid aus, doch Clarissa hörte nicht wirklich zu, weil sie zu sehr damit beschäftigt war abzuwägen, was sie als Nächstes tun sollte. Eines war sicher: Onkel Harold würde nicht noch mehr von ihrem Geld verschwenden und in Kenia begraben werden. Aber sie konnte sich auch nicht dazu durchringen, ihn einäschern zu lassen, nach allem, was er darüber gesagt hatte. Er mochte ein garstiger alter Mann gewesen sein, aber er gehörte immer noch zur Familie, und sie musste sich ihm gegenüber anständig verhalten.
»Ist mein verstorbener Onkel noch in seinem Zimmer?«, fragte sie. »Ich würde ihn gern noch einmal sehen.«
Der Manager beteuerte, das verstehe er gut, und fuhr mit ihr im Aufzug nach oben, wobei er ihr ganz diskret die Rechnung in die Tasche steckte, auf der er bereits die neue Tür aufgeführt hatte.
»Ich lasse Sie allein, damit sie ein paar Augenblicke mit ihm verbringen können«, sagte er vor der Zimmertür und eilte die Treppe hinunter.
Lady Clarissa hörte auf zu schniefen und trat ein. Der strenge Whiskygeruch im Raum machte deutlich, dass es auch andere Gründe für Onkel Harolds plötzliches Ableben gab, auch wenn ihre Telefonanrufe zweifellos ein wenig beunruhigend gewesen waren. Er lag mit einem Laken bedeckt auf dem Bett, schien aber seltsamerweise eine Faust erhoben zu haben. Sie versuchte, sie hinunterzudrücken, doch unglücklicherweise hatte bereits die Totenstarre eingesetzt, und je fester sie drückte, desto kräftiger sprang sie zurück. Clarissa gab schließlich auf, aus Angst, sie könnte ihm den Arm abbrechen und er müsste am Ende mit nur einem Arm ins Grab, passend zu seinem einen Bein.
Sie wandte sich vom Leichnam ihres Onkels ab und begann, die Suite nach den »Wanzen« abzusuchen, die der Hotelmanager angeblich installiert haben sollte, um sie dabei zu filmen, wie sie Sex mit dem Mann von der Werkstatt hatte. Sie wusste, dass die Kameras winzig klein sein mussten und bestimmt an obskuren Orten versteckt waren, doch es war wirklich nichts zu sehen. Sie ging mehrere Male durchs Wohnzimmer und kletterte sogar auf den Ankleidetisch im Schlafzimmer, um die Stuckrosette an der Decke näher in Augenschein zu nehmen. Am Ende war sie überzeugt, dass es nichts zu finden gab und der alte Teufel sie hereingelegt hatte. Mit einem stummen Fluch fuhr sie im Lift nach unten und sprach den Manager direkt auf das Thema an.
»Der Colonel hat mir erzählt, Sie hätten versteckte Kameras in der Suite installiert. Ich möchte wissen, ob an dieser Geschichte irgendetwas dran ist.«
Der Manager schnappte nach Luft. »Das hat er Ihnen gesagt? Was für ein Unsinn. Das verstößt gegen das Gesetz, und außerdem, meine … Ich meine, es wäre doch vollkommen wahnsinnig, so etwas zu tun. Ich hätte meinen Job verlieren können, wenn derlei sich herumgesprochen hätte. Und wozu auch, um Himmels
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