Henry haut ab: Roman (German Edition)
bedeutete Wilt, Platz zu nehmen, während er sich einer Karaffe und Gläsern widmete, die auf einem Silbertablett standen.
»Ich trinke nach einem Vormittag bei Gericht immer einen Brandy«, erklärte er. »Möchten Sie auch einen?«
»Ich glaube, ich würde etwas weniger Starkes bevorzugen«, antwortete Wilt. »Vielleicht ein Bier.«
»Ganz wie Sie wollen, auch wenn ich glaube, dass Sie es sich anders überlegen werden, wenn Sie erst meinen Stiefsohn kennengelernt haben.«
»Nicht gerade ein einfacher Junge?«, erkundigte sich Wilt, während Sir George ein Ballonglas zur Hälfte aus der Karaffe füllte und eine Flasche Bier, einen Öffner und ein Glas für Wilt hervorzauberte, bevor er sich schwer in einen großen, ledernen Sessel setzte.
»Einer der widerwärtig schwierigsten Bengel, die ich je gesehen habe. Überrascht mich gar nicht, dass der erste Mann meiner Frau Selbstmord begangen hat. Hätte ich gewusst, dass Clarissa einen so grauenvollen Sohn hat wie Edward, hätte ich sie nie geheiratet. Und das ist keine Übertreibung. Schlimmer noch, das Weib kommandiert mich für meinen Geschmack viel zu sehr herum.«
Wilt sagte nichts. Wenn Sandystones Hall ein befremdlicher Ort war, so waren die Leute, die darin wohnten, mindestens ebenso sonderbar.
»Wenn Sie es schaffen, Eddie-Gott-steh-uns-bei in irgendein College in Cambridge zu bringen, dann sind Sie ein Wundertäter. Wir hatten schon Schwierigkeiten, ihn auf eine unbedeutendere Schule zu bekommen, und um ihn dort zu halten, mussten wir Dinge tun, die ich nur als Bestechung bezeichnen kann.«
»Ihre Frau hat etwas von Porterhouse gesagt. Ich nehme an, Sie waren dort?«, fragte Wilt.
Sir George rümpfte angewidert die Nase.
»Ich habe Ihnen ja gesagt, sie ist ein absolutes Siebhirn – ich war in Peterhouse. Das fehlte mir noch, dass ich diese hirnlose Kreatur meinem alten College aufbürde. Nicht dass auch nur die geringste Chance bestünde, diesen Rohling überhaupt auf irgendein College zu bringen. Kriegt wahrscheinlich eher einen Platz in Pentonville.«
»Sie meinen im Gefängnis?« Wilt bedauerte allmählich, dass er den Brandy abgelehnt hatte.
»Ich könnte mir vorstellen, dass er so oder so irgendwann da landet. Wäre auch tatsächlich der beste Platz für ihn. Und die Öffentlichkeit wäre weitaus sicherer.«
»Irgendjemand hat angedeutet, dass er gern Dinge wirft.«
»Dinge wirft? Der Junge ist ein verdammter Irrer. Wie oft habe ich ihn schon rauspauken müssen, weil er irgendeinen armen Kerl beinahe umgebracht hat … Nein, ich fürchte, Sie werden mit Eddie alle Hände voll zu tun haben, alter Junge.«
Als Sir George seinen zweiten Brandy ausgetrunken und derweil seine Tiraden gegen seinen Stiefsohn fortgesetzt hatte, hatten sich Wilts Gefühle radikal geändert. Hatte er anfangs Verständnis für das Problem des anderen Mannes gehabt, so war er nun zunehmend schockiert von Gadsleys erschreckender Einstellung seinem Stiefsohn gegenüber. Allerdings wusste er aus Erfahrung, wie schwierig Jungen sein konnten. Halb war er versucht, Sir George von seinen eigenen Erfahrungen mit Lehrlingen in den Vorlesungen in Geistes- und Sozialwissenschaften am nicht mehr existierenden Fenland College of Arts and Technology zu berichten.
In seinen Anfängen hatte Wilt sich jeden Tag Klassen voller Jugendlicher mit leeren Gesichtern gegenübergesehen, die keinen Sinn darin sahen, als Teil ihres kulturellen Hinterlandes Candide oder Der Herr der Fliegen zu lesen. Und es war Wilts Aufgabe gewesen, ihnen zu zeigen, wie Literatur sie mit Fertigkeiten ausstatten könnte, die sie im Leben brauchten. Heutzutage nannte man sie Studenten der Kommunikationswissenschaften und verlangte von ihnen nicht mehr, zu denken oder etwas zu diskutieren. Hauptsächlich sollten sie vor Computern sitzen und sich, soweit er das sehen konnte, darin üben, wie man diese Dinger so manipuliert, dass sie schneller und schneller wurden. Die meiste Zeit spielten sie brutale virtuelle Spiele, oder sie brüteten über ihren Facebook-Seiten und luden dort niederträchtige oder alberne Fotos voneinander hoch. Die Vier hatten gesagt, Social-Networking-Seiten seien »cool«, worauf Wilt geantwortet hatte, er würde es bevorzugen, wenn soziale Netzwerke bedeutete, jemandem ins Gesicht zu sehen und nicht auf einen blöden Bildschirm zu starren.
Wenn er recht darüber nachdachte, empfand Wilt in der Tat große Bitterkeit darüber, wie sich die Dinge verändert hatten. Dennoch, so lästig die
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