Hera Lind
Mann bloß nicht so plump an den Hals!«
Doch! Wollte ich! Die Nachtigall sollte mich aus dem Froschtümpel ziehen! Schnell nahm ich noch einen großen Schluck Bier.
»Im Grunde hätte dein Sponsor dir diesen unsäglichen Bäckermeister vom Leib halten müssen!«
Ich kicherte. »In Heilewelt verteidigen sich die starken Frauen selbst!«
Mir machte dieses verbotene kleine Rendezvous im Treppenhaus der Heilewelter Stadthalle einen Riesenspaß. Und es wurde immer besser.
»Bietest du auch Selbstverteidigungskurse an? Das würde zu dir passen.«
Christians Hand strich wie zufällig über meinen Rücken, und ich lehnte mich unwillkürlich ein wenig zurück. Ob er wohl bemerkt hatte, dass er mich duzte? Innerlich schnurrend hielt ich die Augen geschlossen und blinzelte nur einmal kurz, um mich davon zu überzeugen, dass ich das Ganze nicht träumte.
»Dein Sparkassenmensch ist nicht sehr musisch veranlagt oder??«
»Na ja, er denkt eben eher pragmatisch«, versuchte ich meinen Jürgen zu verteidigen.
»Aber sonst seid ihr ein gutes Team?« Christian Meran sah mich so forschend an, dass ich ganz schnell auf die weißen Treppenstufen schauen musste.
»Jürgen ist Sparkassendirektor, und ohne seinen Kredit …«
»Hättest du bestimmt eine andere Bank gefunden. Bei deinem Talent!«
»Da hätte Jürgen aber entschieden sein Veto eingelegt.«
Christian Meran sah mich mit einer Mischung aus Belustigung und Zuneigung an. Ich wusste nicht, wohin das führen sollte. Mein Herz schlug immer lauter.
»Aha«, meinte Christian amüsiert. »Ein Veto-Einleger also.«
»Nein, doch, er, also Jürgen … Er lebt nun mal eher in seiner Zahlenwelt.«
»Wir sichern Ihren Kindern eine Zukunft! Kümmert er sich auch um die Kinder, oder ist das dein Bereich?«
»Ähm … wir haben seit Neuestem einen Au-pair-Jungen aus Südafrika. Der betreut sie, weil wir ja beide arbeiten.«
Christian lachte. »Und gegen diesen Hausmann hat er kein Veto eingelegt?!«
»Au-pair-Männchen!«, korrigierte ich ihn. »Nicht Haus mann. Also zuerst natürlich schon. Aber dann konnte ich ihn über zeugen, dass Kinder auch männliche Vorbilder brauchen. Wenn sie sehen, dass auch Penisträger den Tisch abräumen, den Abfalleimer rausbringen und ein Hemd bügeln können, kann ihnen das nur guttun.«
»Penisträger.« Christian musterte mich belustigt.
»Ja.« Ich nickte ernst. »Sonst lernen Kinder das ja nie! Wenn das immer nur eine Frau macht … Außerdem ist Caspar schwul.«
Was für unzusammenhängendes Zeug purzelte mir denn da aus dem Mund? Das war das Bier auf nüchternen Magen! Und die Erleichterung nach der gelungenen Aufführung. Ich begann in meinem dünnen Hosenanzug zu zittern. Sofort legte Christian mir seinen körperwarmen Frack um die Schultern. Ich schmiegte mich ein bisschen hinein. Er roch herrlich.
»Auch nichtschwule Penisträger sind zu Hausarbeit fähig«, konterte Christian. »Ich selbst habe es schon mit Erfolg ausprobiert. Einkaufen. Putzen. Es funktioniert. Ich glaube, ich habe sogar schon mal ein Bett gemacht.«
»Dann bist du ja was ganz Besonderes«, erwiderte ich vielsagend.
Plötzlich nahm er meine eiskalte Hand. »DU bist was ganz Besonderes, Lotta aus Heilewelt.«
Gib mir mehr davon!, jubilierte ich insgeheim. Sprich aus, was in Heilewelt keiner glauben will.
»Ach was«, wiegelte ich bescheiden ab. »Ich bin bloß eine ganz normale …«
»Psssst!« Christians Zeigefinger lag auf meinen Lippen. Dann sahen mich seine braunen Augen eindringlich an. »Du weißt es wirklich nicht, was?«
»Ähm … was?« Im Zweifelsfall weiß ich nie etwas.
»Du weißt gar nicht, was für einen natürlichen Charme du besitzt.«
Christians Finger lag immer noch auf meinen Lippen, und ich genoss die intime Berührung, obwohl sie verboten war. Geschmacklos!, hätte Mutter Margot gesagt. Kaum ist der Vorhang gefallen, drückst du dich mit deinem prominenten Gast in schmuddeligen Treppenhäusern herum. Als Mutter von drei Kindern! Als Lebensgefährtin des Sparkassendirektors, dem du deine ganze berufliche Existenz verdankst. Schäm dich was!
»Bist du glücklich hier in Heilewelt?« Endlich nahm er die Hand weg.
Ich holte tief Luft. »Klar.« Meine Augen klebten am Flaschenhals. Mist, war das Bier etwa schon alle? Ich hätte dringend Nachschub gebraucht. Wo sollte das hinführen? Ich musste sofort aufstehen und durch diese eiserne Notfall-Tür zurückgehen, zurück in meinen chaotischen Alltag, zurück zu meiner Familie, meinen
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