Hera Lind
immer kuschelig warm. Christian hatte mir vor vielen Jahren als Überraschung eine warme Heizdecke unter das Laken gelegt. Damit hatte er mir meine erste Nacht ohne ihn versüßt. Natürlich ist eine Heizdecke etwas für einsame alte Omas. Man assoziiert damit rosa Flanellnachthemden, Haarnadeln und ein Gebiss im Glas. Von diesem Anblick war ich zum Glück noch Lichtjahre entfernt. Trotzdem war ich begeistert gewesen über sein originelles Geschenk und benutzte es seitdem fast täglich. Oft vermisste ich Christian gar nicht mehr so schmerzlich, wenn ich in mein vorgewärmtes Bett schlüpfte, in einem Kitschroman schmökerte oder mit meiner Jüngsten kuschelte und kurz vor dem Einschlafen noch ein bisschen fernsah. Irgendwann lernt man, sich gegen sinnlose Sehnsucht zu wappnen. So ein warmer Männerfuß wird gern überschätzt: Es hängt ja noch eine Menge dran. Eine Heizdecke dagegen ist warm, sagt nichts, greift nicht nachts rüber, wenn man gerade eingeschlafen ist, und man kann sie ausschalten, wenn sie zu heiß wird. Auch Gloria war eine angenehme Bettgefährtin. Aber tagsüber wurde sie schwer von Hormonen gebeutelt. Liebesbekundungen, bei denen sie mir fast die Rippen brach, wechselten sich mit Phasen ab, in denen sie ihren Aggressionen freien Lauf ließ. Ich stellte mir ihr Gehirn als Großbaustelle vor, in der gerade eine Abrissbirne wütet. Einerseits wollte ich Tag und Nacht für sie da sein, sie einfach nur festhalten und vor sich selbst beschützen. Andererseits wusste ich, dass sich dieses zerzauste Küken weiterentwickeln musste. Noch sah es sich als graues Entlein, dabei war der zukünftige weiße Schwan schon gut zu erkennen. Gloria hatte bereits Schuhgröße einundvierzig und war fast eins achtzig groß. Ihre seidigen blonden Haare, die sich zu ihrem grenzenlosen Ärger bei Feuchtigkeit sofort lockten, föhnte sie dreimal täglich in eine andere Richtung und zerrte so daran, dass mir ganz weh ums Herz wurde.
»Mama, so kann ich unmöglich zur Schule gehen. Ich sehe total beschissen aus! Bitte schreib mir eine Entschuldigung. Wegen Hässlichkeit kann meine Tochter heute nicht am Unterricht teilnehmen.«
»Nein, mein Schatz, du bist wunderschön! Du bist das schönste Kind der Welt!«
»Ach, Mama, das sagen alle Mütter, die ihre Kinder lieben!« Tür zu, knall, bumm, stampf! Kühlschrank auf, peng!, wieder zu … »Und zu essen haben wir auch nichts im Haus!«
»Nein? Aber der Kühlschrank ist doch randvoll!«
»Aber nicht mit Sachen, die ICH mag!«
Komisch. Gestern bei Ikea hatte sie sich noch klaglos zwanzig Köttbullar-Hackbällchen in den Mund gestopft, mit den Worten: »Ach, wenn mein Busen doch wenigstens so groß wäre wie so ein Köttbullar! Dann würde ich tausend davon essen!«
»Kind, da werden die nicht ohne Umwege landen … Leider!«
»Ach, Mama, das Leben ist so ungerecht! Warum muss Grazia solche Dinger haben, und ich bin flach wie ein Brett?«
Tja. Das wusste ich auch nicht zu beantworten. Manchmal stehen Leute am Ententeich und werfen jeder Ente gezielt ein Bröckchen zu. Aber wenn sie keine Lust mehr haben, werfen sie den ganzen Rest nach einem unschuldigen Tier, das dann mit der ganzen Pracht gar nichts anzufangen weiß. So muss es bei meiner Tochter Grazia gewesen sein: Gott hatte einfach keine Lust mehr gehabt und den Rest seines Busen-Füllhorns über ihr ausgeschüttet, ohne auch nur das Geringste für ihre kleine Schwester übrig zu lassen. Grazia begegnete diesem Überfluss mit trotzigem Selbstbewusstsein: So, bitte! Das habe ich und werde es mitnichten verstecken. »Hallo!«, sagte sie gern und zeigte auf ihre Augen. »Hier bin ich!«
Dieses gesunde Selbstbewusstsein hatte sie von Christian. Der hatte sich längst daran gewöhnt, im Kinderzimmer zu schlafen. Er kam so oft spät von seinen Konzerten zurück, dass er es sogar selbst praktischer fand. Hätte Ursula Kobalik mir wirklich die Frage gestellt: »Na, wie sieht et denn bei euch aus mit ’m ehelichen Liebesleben?«, hätte ich wahrheitsgemäß antworten müssen: »Nicht mehr so toll.«
Heute kam Christian erst gegen Mittag gut gelaunt und ausgeschlafen aus Glorias Zimmer. Er hatte ein frisch gewaschenes, selbst gebügeltes weißes Hemd an. Seine dunklen gelockten Haare waren noch feucht vom Duschen im rosa gekachelten Kinderbad.
»Morgen, ihr Süßen!«
»Morgen, Papa!«, riefen die Mädchen, wanden sich aus seiner Umarmung und machten sich am Kühlschrank zu schaffen.
»Morgen, Christian«, sagte ich
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