Hera Lind
wir mit den Wiener Philharmonikern spielen, ist immer alles perfekt. Aber so eine Begeisterung wie gestern in dieser Musikschule habe ich noch nie erlebt.«
»Du hast es doch wirklich nicht nötig, in so einem Kaff zu spielen«, knurrte ich. »Hier musste ein fremder Pole den Baum aufstellen, den mir die Kobalik aufs Auge gedrückt hat! Wenigstens an Weihnachten könntest du doch mal zu Hause sein!«
»He, Leute, hört doch auf zu streiten, das ist ja voll ätzend!« Grazia fiel über ihre halbe Pampelmuse her. »Der Papa verdient hier die Kohle!« Strafend sah sie mich an. »Du arbeitest ja nicht mehr, Mama. Also mach dem Papa keine Szene.«
»Ja, ich weiß!«, giftete ich. »Wir verdanken Christians toller Flöte dieses schöne Haus, unsere schönen Kleider, unser sorgloses Leben …« Ich warf die Hände in die Luft und lief in meinem seidenen Morgenmantel gereizt auf und ab. »Ich will nicht immer wieder vorgehalten bekommen, dass ich nichts mehr verdiene, seit ich bei der Lufthansa aufgehört habe!«
»Aber Anita!« Christian packte mich bei den Schultern und drehte mich zu sich herum. »Das habe ich dir noch nie vorgeworfen! Was soll denn der Quatsch? Dafür hast du unsere Töchter großgezogen! Du bist eine wunderbare Mutter, und das sage ich allen, die es hören wollen oder auch nicht!«
Er verstummte abrupt.
»Erst gestern Abend habe ich noch so von dir geschwärmt!«
Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn, der wahrscheinlich auf meinem Mund hätte landen sollen, wenn ich nicht den Kopf gesenkt hätte. Ich schämte mich. Im Grunde wusste ich sehr wohl, wie stolz Christian auf mich war! Er gab regelrecht mit mir an! Wahrscheinlich hatte er sogar wieder irgendwelchen Landpomeranzen mein früheres Model-Foto gezeigt.
»Ja, und das freut mich auch«, sagte ich etwas versöhnlicher gestimmt. »Es ist nur so, dass du nur noch unterwegs bist, während ich zu Hause hocke. Die Kobalik hat schon rumgestichelt, wann du endlich kommst und warum ich schon wieder allein bin …«
»Wollen wir tauschen?«, fragte Christian und hielt mir eine frisch gebrühte Tasse Kaffee unter die Nase. Er schob mir einen Stuhl unter und strich mir übers Haar. »Ich bleibe zu Hause und versorge die Mädels, und du fliegst wieder mit der Lufthansa.«
Er meinte das ernst. Es war keine Spur von Häme in seiner Stimme.
»Wir können uns längst selbst versorgen!«, eilte ihm Gloria zu Hilfe.
»Mama, echt, ich fänd das toll, wenn du wieder arbeiten würdest!«, sagte auch Grazia.
Ich nahm einen Schluck Kaffee und sah meine Familie zweifelnd an: »Die würden mich in meinem Alter nie mehr einstellen. Ich bin zwanzig Jahre raus …«
»Vielleicht nicht mehr als Chef-Stewardess in der ersten Klasse auf Langstreckenflügen«, räumte Christian ein. Er legte mir einen knusprigen Toast mit Kirschmarmelade auf den Teller. »Hier! Beiß mal kräftig ab, dann sieht der Morgen schon ganz anders aus.«
»Ja, aber als Saftschubse in der Holzklasse bei irgendeinem Billigflieger mag ich auch nicht wieder anfangen!« Ich schloss die Augen und genoss mein Frühstück. »Außerdem würde ich nicht annähernd so viel verdienen wie du bei den Wiener Philharmonikern!«
»Und du würdest deinen Schönheitsschlaf nicht mehr bekommen, Mami!« Gloria gab mir einen Kuss mit ihrem nutellaverschmierten Mund. »Gell, Mami, das Ausschlafen am Morgen gefällt dir schon!«
Hm. Das war jetzt ein bisschen unschön gepetzt. Christian musste nicht unbedingt wissen, dass Gloria seit ein paar Monaten morgens alleine aufstand. Und Grazia samt ihrem Benni auch. Sie frühstückten sowieso in der Schule! Was sollte ich da um sechs Uhr in der Küche rumstehen, wenn sie sich doch sowieso eine halbe Stunde schminkten und dann auf ihren langen Beinen im Minirock davonstaksten? Selbst ein Pausenbrot hatten sie sich streng verbeten! Oberspießig! Geht gar nicht! Was sollte ich als Mutter also frühmorgens dem Glück meiner Kinder im Weg stehen? Nein, meine Mädels gingen lieber zum Pausenbüffett ihres französischen Lycée, um mit den anderen Elevinnen frische Croissants zu verspeisen und Café au lait zu schlürfen. Wer da Schrot und Korn auspackte, konnte gleich einpacken. Da blieb ich doch lieber im Bett!
»Also? Darf der Rattenfänger von Hameln weiter durch die Straßen ziehen, ohne dass du ihm böse bist?« Christian legte mir einen zweiten Toast auf den Teller und goss mir Kaffee nach. Er war so fürsorglich, dass ich mich schon selbst nicht mehr mochte.
»Ja,
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