Hera Lind
Haut war aschfahl, und meine Haare hingen strohig um mein Gesicht.
»Ich habe die Scheidung eingereicht«, sagte ich schließlich so ruhig wie möglich. So, nun war es heraus! Es war das erste Mal, dass ich es ausgesprochen hatte. Es hörte sich … fremd an. So als wäre das gar nicht mein Text.
LOTTA
Silvester war noch schlimmer als Weihnachten. Es war sozusagen die Steigerung eines Albtraums. Wieder waren meine Eltern angerückt, diesmal mit Fondue-Gerätschaften und tausend Plastiktüten voller Zutaten, und kurz darauf stand auch schon wieder der graue Opel meiner Schwiegereltern in der Einfahrt. Mitsamt kläffendem Köter Leffers. Opa Walter hatte Kracher und Raketen dabei, die er sehr zum Leidwesen des lärmempfindlichen Opas Dietrich bei uns im Vorgarten loslassen wollte.
Ich nahm sofort Reißaus. »Ich fahre noch mal kurz bei Sophie vorbei«, rief ich gespielt fröhlich, »und wünsche ihr ein frohes neues Jahr!« Die Kinder wollten natürlich alle drei mit.
Verstimmt stand Jürgen in der Tür, während ich die Kinder anzog. »Bist du sicher, dass du heute, wo die Großeltern da sind, wirklich noch zu Sophie fahren musst? Hat das nicht Zeit bis nach Neujahr?«
»Nein, hat es nicht!« Ich zerrte etwas heftiger an den Kinderschuhbändern als nötig.
»Ja, wenn es um die Hausarbeit geht, drückt sich unsere Lotta immer gern«, rief Oma Margot dem schwerhörigen Lenchen ins Ohr. »Sie können ja schon mal die Spülmaschine ausräumen! Das hat sie bestimmt auch noch nicht gemacht.«
Opa Dietrich verzog sich schweigend vor den Fernseher, und Opa Walter baute schon mal im Vorgarten die Raketen auf.
Ich wuchtete alle drei Kinder in ihre Kindersitze. Caspar hatte frei, er wollte sich in der Heilewelter Schwulenszene umsehen und es Silvester mal so richtig krachen lassen. Ein zweckloses Unterfangen.
»Lass es doch jetzt gut sein!«, sagte Jürgen. »Morgen ist doch erst Neujahr.«
»Es ist wichtig«, entgegnete ich knapp. Er konnte ja nicht wissen, worum es ging.
Wir fuhren los, und ich starrte verbissen auf die regennasse Straße. Die Scheibenwischer sangen ein schauriges Lied, und die abgestandene Heizungsluft im Auto roch einfach nur trostlos und deprimierend. Ich kniff die Lippen zusammen und starrte durch die schmierigen Scheiben in den Nebel hinaus.
»Mami, hast du schlechte Laune?«, fragten die Zwillinge auf ihren Kindersitzen. »Los, sing was mit uns!«
»Bitte, Mami! Mach noch mal die Ente!«
»Oder den Vogel!«
»Jetzt nicht. Ich muss erst mit Sophie was besprechen.«
»Bist du sauer, weil schon wieder die Opas und Omas da sind?«, fragte Paul verständig.
»Ich glaube, ich bin noch wegen viel mehr sauer«, knurrte ich.
»Aber nicht wegen uns, Mami?«
»Nein, meine Süßen. Nicht wegen euch.«
Da war die rote Backsteinfabrik mit dem dazugehörigen Wohnhaus der Schmalenbergs. Als wir die breite Auffahrt zu ihrem Anwesen hinauffuhren, überkamen mich wieder leise Zweifel. »Bleibt ihr mal kurz im Auto!«, sagte ich, als ich neben der Rosenhecke parkte.
»Aber warum denn, Mami? Wir wollen mit Clemens und Max spielen!«
»Ich will nur kurz was mit Sophie besprechen.«
Die Tür öffnete sich, und Sophie stand wie immer strahlend und schön auf der Schwelle.
»Was für eine Überraschung!« Sie breitete die Arme aus. »He, Pippilotta, was ist los?!« Fragend schaute sie mich an. »Warum kommen die Kinder nicht mit rein?«
Ich starrte sie böse an. Wie konnte sie sich nur so gut verstellen? »Du weißt genau, was los ist!« Wütend funkelte ich sie an.
»Nein!« Überrascht trat sie einen Schritt zurück. »Keine Ahnung! Was ist passiert?!«
»Das weißt du ganz genau!«, zischte ich, und Spucketröpfchen der Verachtung flogen mir aus dem Mund. »Ich habe dir vor einer Woche hier unter dem Siegel der Verschwiegenheit …« Hilflos sah ich mich nach den Kindern um, die abwartend mit den Beinen baumelten.
Erschrocken trat Sophie in den Flur zurück. Ihr argloser Gesichtsausdruck war großer Besorgnis gewichen. Mit einladender Geste machte sie ihre Tür noch weiter auf. »Komm! Lad deine Kinder aus, und wir schicken sie rauf. Theresa macht ihnen einen Kakao.«
»Ja!«, schrien die Kinder und trampelten mit den Beinchen. »Bitte, Mama, schnall uns ab!«
Ich beachtete sie nicht. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Dies war immer meine Fluchtburg gewesen, meine Anlaufstelle, mein eigentliches Zuhause. »Nein. Das lohnt sich nicht. Was ich dir zu sagen habe, dauert nicht lange, und dann
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