Herbert, James - Die Brut.pdf
Außerdem - hieß es nicht immer, dass Gott reuige Sünder in seiner Güte wieder aufnahm?
Das Knacken von Unterholz verriet ihm deutlich, dass er anscheinend nicht die Gnade fand, die er sich gewünscht hatte. Er sprang wieder auf, wischte mit rauher Hand die Tränenspuren vom Gesicht und jagte weiter. Scham, sein Zorn über die ungerechte Verfolgung, seine tief sitzende Furcht - all diese Gefühle wurden nur noch von einem Gedanken überlagert - zu überleben, die Situation heil zu überstehen. Er kannte die Richtung zu seinem Wagen und schlug sie ein. Kein verdammter Bulle, der, den ganzen Tag auf seinem fetten Arsch sitzend, mit dem Wagen durchs Land spazieren fuhr, sollte ihn kriegen! Jedenfalls nicht zu Fuß.
Er hastete weiter, immer noch vor Schreck bebend, hoffte aber zuversichtlich, dass er den Polizisten abhängen würde. Als er sich dann umdrehte, brach er beim Anblick der blauen Uniform, die immer mehr aufholte, fast zusammen. Panik stieg in ihm auf, und einmal mehr wurde er zum zitternden Häufchen Elend, sein Laufschritt verlor den regelmäßigen Rhythmus, und er stolperte fast über die eigenen Füße...
Als er vor sich den braunen Fleck durch die Bäume schimmern sah, schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf, der ihm wieder Auftrieb gab. Der braune Capri, an dem er eben vorbeigelaufen war! Er stand nicht weit von seinem eigenen Wagen. Er hatte noch eine Chance. Wenn er...
Er konnte den Gedanken nicht zu Ende bringen. Der Länge nach stürzte er in eine kleine Mulde und rutschte auf dem Bauch bis zum Grund. Brombeerranken zerkratzten ihm Gesicht und Hände. Großer Gott, jetzt war es aus.
Das Gesetz hatte ihn am Wickel!
Er vergrub das Gesicht in den Händen und begann leise zu schluchzen.
Doch der Polizist lief vorbei. Der Turnlehrer hörte seine polternden Schritte, das leise Schwirren der dünnen Äste, von den stämmigen Beinen brutal beiseitegeschoben, und das gedämpfte Fluchen des irritierten Beamten. Die Geräusche verstummten, als der Polizist an Mollison vorbei zur Straße hinüberlief.
Es war unglaublich, aber wahr. Der Kerl hatte ihn völlig übersehen!
Büsche und Bäume mussten ihn gegen die Sicht des Beamten abgeschirmt haben, ehe er in die Mulde fiel. Er wunderte sich zwar, dass der Polizist seinen Sturz überhört hatte, aber wahrscheinlich verursachte der Verfolger selbst zu viel Lärm. Durch die dichte Vegetation an den Rändern war die Mulde kaum zu bemerken - bis man beinahe hineinfiel. Ein gutes Versteck - und ein ideales Plätzchen für Liebespaare. Ja, jemand hatte die kleine Lichtung schon für seine Heimlichkeiten entdeckt - da lag eine alte Decke, zerfetzt und in Streifen gerissen, kaum drei Fuß von seiner Nasenspitze entfernt. Und wenn er sich nicht irrte, war das da ein Frauenschuh...
Seine Augen weiteten sich erstaunt, als er die ringsum verstreuten Dinge genauer betrachtete. Zerknüllte und zerfetzte Kleider, noch ein Schuh - diesmal von einem Mann - und an einem Zweig ein Kleidungsstück, das wie ein Miederhöschen aussah. Eine goldene Armbanduhr...
Wieso ließ hier jemand Schmuck herumliegen...?
Was immer seine Denkfähigkeit beeinträchtigt haben mochte - es verschwand, und ihm wurde voller Entsetzen klar, was sich da ringsum seinen Blicken bot.
Überall klebte Blut, dunkelrotes Blut - an den zerrissenen Kleidungsstücken, an den Schuhen... Sogar die Erde war davon getränkt, auch die Blätter im Dickicht hatte es verfärbt. Mollison wusste plötzlich, die schimmernden weißen Dinger da waren Knochen, an denen zum Teil noch eine zähe Masse klebte - wahrscheinlich Fleischreste. Doch konnte er nicht begreifen, wieso die Knochen dann nicht eine bestimmte Anordnung aufwiesen, er übersah, dass sie auseinandergerissen worden sein mussten, dass die tiefen Eindrücke und die gezackten Enden von messerscharfen Zähnen herrührten.
Er öffnete den Mund, um zu schreien, doch drang, teils aus Entsetzen, teils aus Furcht vor seiner Festnahme, kein Laut hervor. Stattdessen begann er erneut zu schluchzen.
Als er endlich wieder den Mut fand, die Hände vom Gesicht zu nehmen und sich noch einmal umzuschauen, drängte sich ihm eine seltsam irrationale Frage auf, und er begann die Lichtung abzusuchen. Wenn auch ihre Knochen überall verstreut lagen, konnte man die Einzelteile doch sammeln und dann die Körper komplett begraben.
Doch nach einer Weile gab er auf, weil er sie einfach nicht finden konnte. Er setzte sich ins Gras und fragte sich, wo die Köpfe abgeblieben sein
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