Herbst - Ausklang (German Edition)
»Wie geht’s dir, Kumpel?«
»Gut, danke«, erwiderte er mit kaum hörbarer Stimme. »Wirklich gut.«
»Hast du etwas gegessen?«
»Ich dachte schon, er hört gar nicht mehr damit auf«, antwortete Lorna für ihn und drückte zärtlich seinen Arm. »Howard ist immer noch unten und stopft sich voll.«
»Wo ist Caron?«
»Schläft in einem der Wohnwagen, eingerollt mit einer leeren Weinflasche. Hättest du dir eigentlich denken können.«
»Und Driver?«
»In seinem Bus, vermute ich.«
»Dann sind ja alle hier, was?« Er grinste.
»Na ja, zumindest diejenigen von uns, die noch leben«, gab Lorna leise zurück. Hollis setzte sich langsam – er bewegte sich wie ein doppelt so alter Mann. Sie nahm neben ihm Platz und vergewisserte sich, dass es ihm gut ging. Auf sie alle hatte sich die Gefangenschaft im Hotel ausgewirkt, aber Hollis hatte schwerer als die meisten darunter gelitten. Auf einem Ohr konnte er nichts mehr hören, und der damit verbundene Verlust an Selbstvertrauen hatte ihn heftig getroffen. Eine Zeit lang war sein Verhalten im belagerten Hotel zunehmend aggressiver und unberechenbarer geworden. Dann hatte er sich in den vergangenen Wochen immer mehr in sich selbst zurückgezogen. Nun sprach er kaum noch mit jemandem und bewegte sich selten, wenn Lorna nicht da war, um ihm zu helfen und ihn herumzuschleifen. Er glich nicht mehr dem Mann, der er früher gewesen war.
Die Stille schien zu laut zu werden. »Alles klar, Jas?«, fragte Lorna, doch er drehte sich nicht einmal um. Seit sie heraufgekommen war, hatte er keinerlei Notiz von ihr genommen. »Tut sich da draußen etwas?«, erkundigte sie sich ungerührt.
Endlich kam eine Antwort.
»Nicht viel«, sagte er. »Es tut sich nirgendwo noch viel.«
»Verdammt noch mal«, stieß Harte seufzend hervor. »Könntest du wohl ein bisschen fröhlicher sein?«
»Warum sollte ich?«
»Weil wir um die Zeit gestern alle dachten, unsere Tage wären gezählt. Wir waren gefangen. Vollkommen im Arsch.«
»Und hier ist es anders, weil ...?«
Harte traute seinen Ohren nicht.»Hier ist es doch wohl völlig anders.«
»Und da bist du dir ganz sicher?«
»Ja.«
»Tja, ich nicht. Jedenfalls noch nicht. So wie ich das sehe, haben wir nur vom Regen in die Traufe gewechselt.«
»Glaubst du?«, meldete sich Lorna zu Wort, die gänzlich anderer Meinung war. »Ich finde es hier erheblich besser. Wir sind vor den Toten in Sicherheit. Hier können wir leben, atmen, ins Freie gehen ...«
»Solange wir innerhalb der Burgmauern bleiben.«
»Ja, aber ...«
»Ich behaupte ja nicht, dass es hier nicht besser wäre, ich denke nur nicht, dass es so toll ist, wie ihr das anscheinend findet.«
»Besser können wir es momentan nicht treffen«, murmelte Hollis, doch Jas blieb weiterhin anderer Ansicht.
»Sie sind heute nur raus, um nach uns zu suchen, weil die Toten gefroren waren«, sagte er mehr zu den anderen als zu Hollis. »Die Temperaturen waren ungewöhnlich frostig. Das wird nicht jeden Tag so sein. Die sind hier genauso gefangen, wie wir es waren.«
»Ja, aber wir müssen uns nur noch ein paar Monate lang Sorgen wegen der Toten zu machen«, gab Harte zu bedenken. »Sechs Monate, davon sind wir immer ausgegangen. Fast die Hälfte haben wir inzwischen. Es wird immer einfacher.«
»Solchen Blödsinn höre ich schon seit dem ersten Tag«, unterbrach ihn Jas, der sich zunehmend wütender anhörte. »Ich hab mit diesem Kieran geredet, als wir hier eingetroffen sind. Er hat gemeint, er hätte die Straße da unten geräumt, als Jackson und Driver losgefahren sind, um nach uns zu suchen.«
»Und?«
»Als wir zurückgekommen sind, war die Fahrbahn wieder blockiert, oder? Sie mussten den Bagger rausholen und sie räumen, damit wir auch nur in die Nähe der Burg konnten. Und das an einem Tag, an dem die Verhältnisse günstig für uns waren.«
»Ach, trink doch mal was«, schlug Harte vor und reichte ihm eine Flasche mit Branntwein. »Beruhig dich, verdammt.«
Jas trank einen Schluck, zuckte zusammen und gab die Flasche zurück. Lorna beobachtete ihn besorgt. Harte kam herüber und setzte sich in einem Winkel des Turms neben sie. Der Boden war zwar kalt, aber die dicken Mauern schützten vor dem eisigen Wind. So ungemütlich es im Freien sein mochte, sie hatten genug davon, drinnen eingesperrt zu sein. Jas blieb auf der gegenüberliegenden Seite, abseits der anderen, und starrte in die Umgebung hinaus.
»Was denkst du gerade?«, wollte Lorna wissen.
»Ich denke gerade
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