Herbst - Ausklang (German Edition)
wäre erneut hinter den Wolken hervorgekommen. Im Laster herrschte verdutzte Stille. Niemand rührte sich. Jackson beobachtete vom Bagger aus, wie sich viele der Toten umdrehten und davonschlurften. Sie bewegten sich schier unerträglich langsam, aber sie bewegten sich.
»Was zum Geier hat er gerade gemacht?«, fragte Ainsworth leise, der das Geschehen mit Jas und Bayliss von der Ladefläche des Lasters aus beobachtete. »Ich schwöre euch, er hat kein Wort davon zu mir gesagt, dass er hier alles in die Luft jagen will.«
Jas starrte den Feuerball an. Wie hypnotisiert stolperten praktisch alle Toten auf die Flammen zu, hatten die Menschen im Laster schlagartig vergessen. Jas ließ den Blick über die Straße wandern, doch von Harte fehlte jede Spur.
»Was sollen wir tun?«, meldete sich Bayliss zu Wort. »Wir können ihn nicht einfach zurücklassen.«
»Ich wüsste nicht, was für eine andere Wahl wir haben«, erwiderte Jas. »Niemand könnte das überlebt haben. Was hat sich der dämliche Mistkerl nur dabei gedacht?«
Er wollte Driver und Kieran gerade zurufen, sie sollten erneut versuchen, loszufahren, um die Ablenkung zu nützen, solange sie anhielt, da sprintete Jackson los und raste auf die brennende Tankstelle zu. Trotz der noch großen Entfernung musste er sich bereits gegen die Hitze abschirmen. Die Auswirkungen der gewaltigen Explosion waren verheerend gewesen. Überall lagen Trümmer verstreut, rauchende, geschwärzte Brocken, umgeben von freien Flächen, wo der verbliebene Schnee geschmolzen war. Die Toten schenkten ihm kaum Beachtung, auch wenn er ihnen nah genug kam, um angegriffen zu werden. Einige von ihnen brannten – entzündet von der intensiven Hitze, noch bevor sie die Flammen erreichten. Trotzdem bewegten sie sich weiter, bis nichts von ihnen übrig blieb. Mit einem anhaltenden, grauenhaften Knarren und Krachen stürzte das Dach der Tankstelle ein, zertrümmerte alles unter sich und fächelte die Flammen zusätzlich an. Riesige Feuerwogen breiteten sich darüber aus. Wallende, toxische Wolken schwarzen Rauchs stiegen auf und trieben davon.
Jackson versuchte, näher hinzugelangen, doch die Hitze war zu stark. Jas sprang aus dem Wagen, eilte zu ihm und zog ihn zurück, wollte nur noch weg. Einen kurzen Augenblick standen die beiden Männer einander in Angriffshaltung gegenüber.
»Lass es«, sagte Jas. »Harte ist erledigt. Wir müssen hier weg.«
»Aber was, wenn er ...«
»Er ist tot – und das werden wir auch sein, wenn wir nicht verschwinden.«
Damit stapfte er zum Laster zurück. Für ihn war die Unterhaltung beendet. Jackson verharrte noch einen Moment und bemühte sich, zu verarbeiten, was gerade geschehen war. Sein Blick zuckte unablässig über die Stätte der Verwüstung. Weitere Leichen, nunmehr fast vollständig vom Eis befreit, schlurften rings um ihn auf die lodernde Tankstelle zu. Ihre verwesenden Körper glänzten im grellen, flackernden Licht. Hinter ihm startete Driver den Motor.
»Fahren wir«, rief Jas. Jackson drehte sich um und rannte zum Bagger zurück, den Kieran in der Zwischenzeit in die richtige Richtung gedreht hatte. Er blickte ein letztes Mal über die Schulter zurück, als sie sich in Bewegung setzten, lang genug, um sich zu vergewissern, dass es Driver letztlich gelang, ihnen zu folgen. Diesmal konnte das schwere Fahrzeug dank der geräumten Straße problemlos über den von Schneematsch überzogenen Asphalt rollen.
TEIL II
111 Tage seit der Infektion
20
Der Helikopter flog über die Meeresoberfläche. Der Pilot und die Passagiere waren still und wirkten bedrückt. Sie hatten sich ausnahmslos zu sehr in ihre eigenen Gedanken gehüllt, um miteinander zu reden. Die Gefühle miteinander zu teilen, die sie empfanden, kam nicht infrage. Der zurückkehrende Schmerz war noch zu heftig – heftiger, als sie sich vorgestellt hatten.
An diesem nun kalten, leeren, trostlosen Ort hatten sie alle gelebt und geliebt. Hier waren sie geboren worden und aufgewachsen. Hier hatten sie Familien und Freunde gehabt. An diesem Ort hatten sie ihre schönsten und schlimmsten Tage erfahren. An diesem Ort ruhten irgendwo die staubigen Erinnerungen an das jeweilige Leben, das sie geführt hatten, und die jeweiligen Menschen, die sie gewesen waren. Soldat, Computertechniker, Bergführer, Student ... Was der Welt widerfahren war, hatte ihnen diese Fertigkeiten und Erfahrungen entrissen und sie alle gleichgemacht. Nun verkörperten sie nur noch gemeine Überlebende, nicht mehr,
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