Herbst - Ausklang (German Edition)
verdammt hart dafür gearbeitet, am Leben zu bleiben. Er wusste, dass er sich glücklicher als die meisten schätzen konnte, denn er hatte bereits mit seinem persönlichen Wiederaufbau angefangen. Er hatte eine Partnerin – Freundin? Frau? Geliebte? Keine dieser Bezeichnungen schien zu passen. Jedenfalls empfand er seine Beziehung zu Emma Mitchell als das Wichtigste in seiner kleinen und zunehmend abgekapselten Welt. Einige der anderen hatten gewollt, dass er auf Cormansey blieb und diesen Ausflug zurück nicht antrat, doch er hatte darauf bestanden. Emma war schwanger – die erste Schwangerschaft auf der Insel –, und Michael hatte sich verpflichtet gefühlt, für sein ungeborenes Kind zu sorgen. Er dachte ständig an Emma und das Baby. Emma und er hatten nicht miteinander darüber geredet, weil es ohnehin nichts gab, das sie tun konnten, aber sie wussten beide um die Risiken und Unsicherheiten einer Geburt. Neben den üblichen Sorgen verstärkte der Mangel an vernünftigen medizinischen Einrichtungen ihr Unbehagen. Erschwerend kam hinzu, dass ihnen jemand von einem Baby erzählt hatte, das unmittelbar nach dem Ausbruch der Infektion geboren worden war. Das arme kleine Würmchen hatte außerhalb des Mutterleibs nur Sekunden überlebt, bevor es vom selben tödlichen Keim hingerafft wurde, der alles andere ausgelöscht hatte.
Neben Michael saß im Helikopter Donna Yorke, neben ihr wiederum Mark Cooper. Emma hatte oft über die zwei gesprochen und gemeint, was für ein feines Paar sie ihrer Ansicht nach abgeben würden. Die beiden verbrachten zwar viel Zeit miteinander und besuchten einander manchmal in ihren jeweiligen Häusern, aber mehr war nicht daraus geworden. Michael fragte sich, ob sie sich zu sehr davor fürchteten, ihre Gefühle einzugestehen. Nicht, dass es ihn etwas anging oder sonderlich interessierte. Er erinnerte sich noch an das Risiko, das er eingegangen war, als Emma und er einander zuerst nähergekommen und dann miteinander intim geworden waren. Das Inselleben war zu beengt, falls etwas schiefginge. Man konnte unmöglich entkommen, wenn man sich mit jemandem überwarf. Michael wollte sich gar nicht ausmalen, wie unangenehm es für jemanden sein müsste, wenn eine Beziehung in die Brüche ginge und man inmitten all der Beschimpfungen und Schuldzuweisungen nur den Kopf einziehen konnte. Cormansey fühlte sich oft wie ein riesiger Ort an, wenn man alleine war. Man konnte zwar entlang der verkehrsfreien Straßen kilometerweit von einem Haus zum nächsten, fernen Gebäude gehen, trotzdem sah man tagtäglich dieselben Gesichter. Blanke Notwendigkeit hatte die Gemeinschaft gezwungen, zunehmend enger zusammenzuwachsen. Die Menschen verließen sich aufeinander, und es hatte von Anfang an festgestanden, dass ihr weiteres erfolgreiches Überleben gemeinsamer Anstrengungen bedurfte. Vielleicht wollten Donna und Cooper einander näherkommen, empfanden aber die damit verbundene Verpflichtung als ein zu großes Risiko.
Harry Stayt saß neben Richard vorn im Helikopter und ließ den Blick über den Boden wandern.
»Ich denke, wir sollten an der Küste bleiben«, meinte er zum Piloten. »Da unten sieht es so beschissen wie immer aus. Wahrscheinlich ist es das Wagnis noch nicht wert, weiter ins Landesinnere vorzudringen.«
Richard gab ihm recht. Er schwenkte nach rechts, zurück in Richtung Meer. Michael schaute über die endlosen Weiten des Wassers, die trügerische Stille, das Sonnenlicht, das auf den sanften Wellen funkelte, und wünschte, sie wären irgendwo anders als hier. Er wollte zurück nach Hause.
Sie setzten im nächstbesten größeren Hafen auf, den sie erreichten. Richard manövrierte den Helikopter fachmännisch und landete auf einer kleinen Fläche auf dem Dach eines mehrgeschossigen Parkhauses, da er es nicht riskieren wollte, die kostbare Maschine ebenerdig abzustellen. Harry sah sich weiter um, als sie abstiegen, und hakte seine gedankliche Checkliste ab: kompakter, aber einigermaßen großer Shoppingbereich – erfüllt; einfach zugänglicher Jachthafen mit etlichen Booten – erfüllt; sicherer, abgeschiedener Landeplatz – erfüllt; keine riesigen Scharen von Leichen, die nach Blut lechzten – erfüllt.
»Guter Tag dafür«, sagte er, als sie aus dem Helikopter stiegen. Es war kalt, aber nicht annähernd so frostig wie zuletzt. Er streckte den Rücken durch, gähnte und knöpfte seine Jacke zu, dankbar für die mehreren Schichten dünner, isolierter Sportbekleidung, die er darunter
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