Herbst - Läuterung
hereinzudrängen?«
»Aber wir können sie doch nicht im Stich lassen«, rief sie.
»Wir haben keine Wahl«, murmelte Emma dicht hinter ihr.
»Da unten sind Menschen ...«
»Hier drin sind auch Menschen.«
Während sie das Geschehen beobachteten, drängte sich ein Überlebender aus dem zerschlagenen Fenster und riss durch die Wucht der verzweifelten Flucht etliche Leichen im hohen Bogen von den Füßen.
»Wer ist das?«, wollte Armitage wissen.
»Ich bin mir unsicher«, erwiderte Cooper. »Guter Gott ...«
Noch bevor einer von ihnen die Möglichkeit, dem Überlebenden zu helfen, auch nur in Erwägung ziehen konnte, war es zu spät. Um wen auch immer es sich gehandelt hatte, er wurde nahezu augenblicklich von den Leichen verschlungen. Sie drängten sich um die hilflose Gestalt und wegen ihrer Anzahl bedeutete dies, dass jeder Fluchtweg rasch versperrt wurde. Sie stürzten sich auf ihn wie eine Meute hungriger Tiere auf frische Jagdbeute. An anderen Stellen wogten immer noch weitere Leichen, angelockt durch die Störung und den Lärm, auf das Bürogebäude zu.
»Was passiert jetzt?«
»Sie wissen, dass da noch mehr Menschen sind«, antwortete Emma leise. »Und sie wissen, dass diese anders sind als sie. Sie versuchen, sich einen Weg hinein zu erzwingen ...«
»Was wollen Sie damit sagen, sie wüssten, dass da noch mehr Menschen sind?«, fragte Juliet.
»Genau das, was ich gesagt habe.«
»Aber ...«
»Aber nichts. Die Leichen wissen, dass wir hier drin sind. Sie haben nach uns Ausschau gehalten, den Helikopter und das Flugzeug gesehen, und jetzt wollen sie uns aufstöbern.«
»Warum?«
»Weil wir anders sind als sie? Weil wir eine Bedrohung für sie darstellen?«, vermutete Cooper. »Wer weiß das und wen kümmert es?«
Unter ihnen kämpften sich mehr Überlebende einen Weg aus dem belagerten Gebäude und wurden von den faulenden Horden verschluckt. Die Menschen im Überwachungsturm waren durch die Schnelligkeit der Ereignisse und ihre unerbittliche Hilflosigkeit wie betäubt und konnten nichts weiter tun als ohnmächtig zuzusehen.
»Also werden sie uns als Nächstes jagen?«, stieß Juliet mit bebender Stimme hervor – einem Zusammenbruch nahe.
»Vermutlich wissen sie noch nicht, dass wir hier oben sind«, antwortete Cooper. »Aber sie werden es bald.«
»Man muss ihnen nur etwas Zeit lassen«, brummte Armitage.
»Sie haben recht«, stimmte ihm Emma zu und wischte sich Tränen der Angst und Enttäuschung aus den Augen. »Irgendwann werden sie erkennen, dass wir hier oben sind und dann ...«
»Dann was?«, presste Juliet nervös hervor.
»Ihre körperliche Verfassung verschlechtert sich. Ich denke nicht, dass sie kommunizieren oder logisch denken können. Also, was auch immer ihre Beweggründe sein mögen, ich denke, dass sie trotzdem nur auf eine Weise reagieren können.«
»Wie?«, fragte die nunmehr stark zitternde Frau.
»Ich glaube, sie werden versuchen, uns in verdammte Stücke zu reißen.« Emmas trockene, monotone Sprechweise strafte das wachsende Entsetzen, das sie in sich fühlte, Lügen.
In der Toilette des Bürogebäudes saß Phil Croft mit dem Rücken an der Tür auf dem Boden und war fest entschlossen, die verdammten Dinger, die das Gebäude füllten, um jeden Preis von sich fernzuhalten. Doch er war nicht dumm. Es war ihm bewusst, dass es unabwendbar und nur eine Frage der Zeit war.
Er griff in seine Hemdtasche, zog die letzte Zigarettenschachtel hervor und öffnete sie. Eineinhalb Zigaretten waren noch da. Er zündete sich die Erste an und nahm einen langen, herrlichen, entspannenden Zug, wobei er seine Lungen mit Nikotin, Teer und Rauch füllte. Dann steckte er die Zweite an und schob den glühenden Stummel in einen Stoß Papierhandtücher, die umgehend zu glimmen und dann zu brennen begannen. Auf der gegenüberliegenden Seite der Tür konnte er Schläge, Stöhnen und Schreie hören. Er nahm wahr, wie die anderen zehn Menschen, mit denen er gefangen gewesen war, überwältigt und auseinandergerissen wurden. Er versuchte, seinen Kopf mit zufälligen, sinnlosen Gedanken zu füllen, um sich selbst von den Geräuschen abzulenken, die von draußen hereindrangen, doch es war unmöglich. Er hatte es zuvor immer geschafft, das Grauen auszublenden, doch an diesem Tag funktionierte es nicht. Heute waren die Todesangst und das hoffnungslose Entsetzen alles, was noch übrig war.
So endet es also, dachte er traurig, als er beobachtete, wie die Flammen an den Papierhandtüchern
Weitere Kostenlose Bücher