Herbstbringer (German Edition)
beide, dass ein Kräftemessen sinnlos wäre, außerdem habe ich keine Lust, mir die Finger an dir schmutzig zu machen, Pestbringer.«
Wie gelähmt starrte Emily die Gestalt an. Jake! Was machte er hier? Als ihr Blick den seinen traf, schossen ihr Tränen in die Augen. In seinem Blick lagen Angst und Schmerz, aber er schien unversehrt. Er sah sie stumm an.
»Lasst ihn gehen!«, brüllte sie. »Lasst ihn sofort gehen!«
»Sicher doch«, säuselte Michael. »Du musst dem da nur klarmachen, dass du seine Dienste nicht länger in Anspruch nehmen möchtest.«
»Wenn du nicht siehst, dass das ein Trick ist, ist dir nicht mehr zu helfen«, giftete Elias dagegen. Seine Stimme gurgelte wie ein Abfluss. »Trink von meinem Blut, oder gib alles auf, wofür du gekämpft hast!«
Emily hatte das Gefühl, jeden Moment den Verstand zu verlieren.
»Tu es nicht!«, schrie Jake aus vollem Hals und wollte sich losreißen. Er kam nicht weit. Aaron packte ihn und schleuderte ihn gegen einen windschiefen Grabstein, wo er reglos liegen blieb.
»Jake«, hauchte sie hilflos. »Was habe ich getan?«
»Du wirst noch mehr Unheil anrichten, wenn du nicht auf mich hörst.« Elias’ Stimme drang wie durch Watte an ihr Ohr. Sie hörte gar nicht richtig hin. Für sie gab es keine Zweifel an Jakes Warnung.
Michael deutete ein trauriges Nicken an. Ein diabolisches Grinsen breitete sich auf Aarons Zügen aus. Er schien auf diesen Moment gewartet zu haben. Er packte den am Boden liegenden Jake und riss ihn hoch, um ihm die Zähne in den Hals zu schlagen. »Willst du dieses jämmerlich kurze Leben retten?« Michael deutete auf den reglosen Jake. »Dann ist dies deine letzte Chance, Herbstbringer!«
»Aufhören!«, brüllte Emily aus Leibeskräften und versuchte, sich Elias’ Krallen zu entwinden. Die ganze Welt hatte aufgehört zu existieren, sie sah nur noch Jake und Aaron.
In einer zuckenden Bewegung verschwand auch der letzte Rest der Person aus Elias’ Zügen, die er dargestellt hatte. Seine Haut wurde aschfahl, seine Augen traten in die Höhlen zurück, und eine Wolke ekelerregenden Gestanks bildete sich um ihn. Benommen von dem fauligen Geruch verlor Emily das Gleichgewicht. Sie wurde in einen Wirbel aus Schwärze und Gestank gezogen, der alles andere ausblendete. Das Nächste, was sie bewusst wahrnahm, war das hassverzerrte Gesicht von Elias, der sich in einer grotesken Umarmung über sie beugte. Ihr Kopf schmerzte, doch der Schmerz half ihr, nicht den Verstand zu verlieren. Sie hatte keine Angst mehr. An ihren Platz trat wieder jene eiskalte Wut, die sie mittlerweile begrüßte wie eine gute Freundin.
»Genug mit den Spielereien«, knurrte Elias in einer Stimmlage, die keine normale Kehle produzieren sollte. »Ich habe lange genug darauf gewartet, dich bezahlen zu lassen!«
»Aber wofür?«, fragte Emily keuchend. »Ist das die Dankbarkeit dafür, dass ich dir das Leben gerettet habe, als ich dich umbringen sollte?«
Er lachte ein bellendes Lachen. »Oh ja, mein Leben hast du verschont. Und mich so zu einem Geächteten gemacht, meine Familie entehrt.«
»Von was redest du?« Emily blickte ihn fassungslos an. Alles andere war für den Moment vergessen.
»Wie süß. Kaum ein paar Jahre unter der Erde, und schon willst du dich an nichts mehr erinnern?« Er spuckte aus. »Durch deinen grausamen Akt der Barmherzigkeit habe ich meine Ehre verloren, wurde ein Gejagter und Ausgestoßener. Du hättest mich töten sollen, wenn dir etwas an mir gelegen hätte. Ich, verschont von einem jungen Mädchen! Ich, Nosophoros, der Pestbringer! Ich konnte mir vor Scham selbst nicht mehr in die Augen blicken.«
Sie war in eine Falle gelaufen. Vor Wochen schon. »Aber warum all das? Warum hast du mich gerettet?«
Er blickte sie verständnislos an. »Ist das nicht offensichtlich? Ich hätte dich jederzeit töten können. Doch welchen Lustgewinn hätte mir das verschafft? Ich wollte dein Vertrauen, um es dir in einem einzigen grausamen Moment wieder zu entreißen.«
Mit Entsetzen beobachtete Emily, wie sich unter seiner Haut etwas regte. Irgendetwas krabbelte durch sein Fleisch!
Mit Händen, die nur aus Knochen und grauen Sehnen bestanden, presste er sie fest auf den Boden. Sie hatte das Gefühl, in der feuchten Friedhofserde zu versinken. Um sie herum waberten graue Schleier.
Gelähmt sah sie mit an, wie das Ding, das Elias gewesen war, seinen Mund öffnete. Zähflüssiges Blut quoll daraus hervor. »Und jetzt trink!«, hörte sie noch, dann verlor
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