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Herbstbringer (German Edition)

Herbstbringer (German Edition)

Titel: Herbstbringer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Björn Springorum
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lächerlich vor und hatte aufgehört, dem wehklagenden Pfeifen eine Bedeutung abzuringen.
    Schon jetzt wirkten die Ereignisse in London wie ein surrealer Traum. Konnte sie überhaupt sicher sein, dass sie Elias wirklich begegnet war? So bereit sie auch war, Zweifel an seinen Enthüllungen zuzulassen: Sie hatte keine. Sie wusste, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Sie wusste ebenso, dass sie bald durchdrehen würde, wenn sie mit all diesen Gedanken noch länger allein sein musste.
    Bedächtigen Schrittes machte sie sich auf den Heimweg.
    Ein Stück von ihrem Zuhause entfernt blieb sie stehen. Sie betrachtete das kleine Häuschen mit dem gepflegten Garten und den erhellten Zimmern, als wäre es das erste Mal. Es dämmerte ihr, dass sie nicht in Woods End bleiben konnte.
    Der Klang eines Windspiels drang verloren durch die Nacht.
    Kälte umfing sie. Doch es war nicht etwa der kühle Abend, der sie frösteln ließ. Erst jetzt, im Angesicht des Verlusts, realisierte sie, wie geborgen und sicher sie sich hier gefühlt hatte.
    Sie fasste einen Entschluss. Eigentlich waren es sogar zwei. Wenn Jake morgen wieder nicht in der Schule auftauchte, würde sie zu ihm gehen. Großvater hin oder her.
    Der zweite Entschluss kostete sie sogar noch mehr Überwindung.
    »Sophie?« Sie klopfte leise an die Tür. »Bist du noch wach?«
    Keine Reaktion. Dann, als Emily gerade aufgeben wollte, öffnete sich die Tür.
    Sophie lugte heraus. »Jetzt wieder«, sagte sie und gähnte hemmungslos. »Was ist denn?«
    »Kann ich reinkommen? Ich … wir … ich muss mit dir reden.«
    Sophie machte ein Gesicht, das »Ach, jetzt auf einmal?« zu sagen schien, öffnete die Tür dann aber ganz und ließ sie herein.
    Allem Anschein nach hatte Sophie die Klassenfahrt gutgetan. Sie hatte einige verwackelte Fotos von sich, Lucy und Sarah aufgehängt. Es sah ganz so aus, als hätte sie neue Freundinnen gefunden.
    »Hör mal, ich weiß, dass ich mich in London ziemlich bescheuert verhalten habe, und das tut mir leid.«
    Sophie schwieg.
    »Jedenfalls«, fuhr Emily nach einiger Überwindung fort, »muss ich dir einiges erzählen, von dem ich nicht weiß, wie ich es ausdrücken soll.«
    »Wenn das irgendwas mit Jake und deinem Date in London zu tun hat …«
    »Was? Date?«, unterbrach Emily. »Nein! Zumindest nicht so, wie du denkst.« Zu spät merkte sie, dass dies genau die Art von Satz war, die man immer dann benutzt, wenn es genau so war, wie jemand dachte. Oder schlimmer.
    »So, so«, säuselte Sophie mit einem wissenden Grinsen. »Da bin ich ja mal gespannt.«
    Emily verdrehte die Augen. Typisch Sophie. »Sophie, bitte. Lass mich ausreden, okay?«
    Sophie machte eine Geste, als würde sie ihren Mund verschließen.
    »Okay.« Emily atmete tief durch. Noch wusste sie nicht, was oder wie viel sie Sophie erzählen sollte. Unruhig lief sie im Zimmer auf und ab. »Ich habe mich in London tatsächlich mit jemandem getroffen. Erinnerst du dich, als ich euch in der U-Bahn kurz verloren hatte? Dort bin ich auf jemanden gestoßen, der mich erkannt hat. Sophie, er wusste, wer ich bin! Jetzt weißt du, warum ich den Tag über so merkwürdig war … oder noch merkwürdiger«, hängte sie mit einem schwachen Lächeln an, als sie Sophies Gesichtsausdruck bemerkte. Erstaunlicherweise hielt sich ihre Schwester noch immer an ihr Schweigegelübde.
    »Er hat mir einen Treffpunkt für abends genannt. Ich musste einfach herausfinden, was er über mich wusste. Also habe ich mich aus dem Zimmer geschlichen und mich in diesem Klub ein paar Straßen weiter mit ihm getroffen. Er konnte – oder wollte – mir nicht allzu viel über mich sagen, aber das, was er mir erzählt hat, ist eindeutig gewesen: Er kennt mich von früher!«
    Mit einem Seufzer ließ sie sich auf das Bett fallen. Auch wenn sie während ihrer Erzählung spontan beschlossen hatte, Sophie ihre anderen Erkenntnisse zunächst vorzuenthalten, hatte es dennoch gutgetan, jemanden zumindest teilweise einzuweihen.
    »Und jetzt?«, fragte Sophie nach einigen Momenten der Stille.
    »Und jetzt was?«
    »Na, was wirst du jetzt tun? Wirst du ihn wiedersehen? Und was hast du überhaupt herausgefunden?«
    »Ich weiß nicht. Es ist kompliziert.« Was für eine Untertreibung, dachte sie bitter. »Ein Teil von mir brennt darauf, mehr über mich, über meine Familie herauszufinden. Ein anderer Teil weiß, dass meine Familie hier ist … bei euch.«
    Das erste Mal seit Langem spürte Emily wieder Wärme und Zuneigung im Blick ihrer

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