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Herbstbringer (German Edition)

Herbstbringer (German Edition)

Titel: Herbstbringer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Björn Springorum
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als genug gab. Aaron war zweifellos einer der besten. Er lebte die Jagd, hatte sich ihr voll und ganz verschrieben. Für ihn war sie sein Schicksal, seine Bestimmung.
    Wie ein böser Schatten eilte er durch die Nacht.
    Der einzige Grund, weshalb er sich in all der Zeit nicht weiter auf der Leiter aus Einfluss und Gunst emporgearbeitet hatte, war der, dass er noch nie die geringste Lust dazu verspürt hatte. Er sah es nicht ein, jeden seiner Schritte sorgsam zu planen, um den bestmöglichen Eindruck bei den Oberen zu hinterlassen – nur um dann pausenlos fürchten zu müssen, jemand könnte ihm diese Position wieder streitig machen. Das sollten schön die anderen tun. Schon vor langer Zeit hatte er sich von jeglichen familiären Bündnissen losgesagt.
    Er hielt sich nicht gerne an Regeln. Mit anderen Worten, Aaron war schon ein Punk gewesen, als die Gitarre noch nicht mal erfunden war. Seine Lederjacke war da nur das letzte Tüpfelchen auf einem großen, grausamen und blutgetränkten I.
    Amüsiert hatte er in den letzten Wochen Balthasars Ränkespiel beobachtet. Aaron wusste schon lange, dass Balthasar einen Putsch plante, hatte jedoch penibel darauf geachtet, sich aus jeglichen Plänen und Verschwörungen rauszuhalten. Noch länger wusste er nämlich, wie Michael auf solche Meutereiversuche zu reagieren pflegte. Und das aus nächster Nähe mitzuerleben, überließ er liebend gerne Balthasar.
    Stattdessen wandte er sich, nun wieder allein unterwegs, seinen eigenen Interessen zu. Die Nacht verblich in einem kühlen Morgen. Er jagte weiter, obschon die Sonne längst aufgegangen war. Er war einer der wenigen, die dazu in der Lage waren. Zu seinen bevorzugten Anekdoten gehörte seit einigen Jahren, dass die Filmfigur »Daywalker« von ihm inspiriert worden war. Auch ihn hielt das Sonnenlicht nicht von der Jagd ab. Auch er hatte mehr als einen in Ungnade gefallenen Vampir zur Strecke gebracht. Diese Fähigkeit war ein Grund, weshalb er die Theorien um die angebliche Überlegenheit des Herbstbringers stets verspottet hatte. Für ihn war das Mädchen nicht besonders, nur weil sie nicht von allzu grellem Sonnenschein verzehrt wurde wie ein Eiswürfel. Aber so war das mit Legenden. Man glaubte viel zu viel, ohne es zu hinterfragen. Für ihn gab es nur das, was er mit eigenen Augen gesehen hatte. Und das war ein störrisches Mädchen, das zu schwach für seine Art war.
    Hinter einer Anhöhe fand er, wonach er gesucht hatte. Auf den letzten Kilometern war die Spur wieder stärker geworden, hatte sich der würzige Geruch des Herbstes deutlicher in der von Feldern und kleinen Wäldern geprägten Landschaft niedergelassen. Er wusste, dass er am Ziel war.
    Er blickte auf ein betagtes Anwesen, umgeben von ausladenden Bäumen. Sheltering Tree verkündete das Schild über dem Messingtor.
    Kinder spielten in der tief stehenden Nachmittagssonne auf dem Rasen.
    Vergiss dabei nie, dass wir uns ihr weder zeigen noch dem Mädchen oder ihrer Familie etwas antun dürfen , drang Balthasars Zurechtweisung in sein Bewusstsein. Ein Hochgefühl durchströmte ihn, das er immer dann verspürte, wenn er von dem Erfolg seiner Jagd überzeugt war.
    Balthasar hatte nichts über Bekannte oder Freunde gesagt.

    Emily war schon einige Stunden zu Hause in ihrem Zimmer, bis sie sich dazu überwand, Jake anzurufen. Der Briefumschlag lag verschlossen auf ihrem Schreibtisch. Von Zeit zu Zeit beäugte sie ihn wie eine giftige Spinne, machte aber keine Anstalten, ihn zu öffnen. Sie hatte Angst vor dem Inhalt.
    Es dämmerte bereits, und schwindendes Licht hüllte die zunehmend kahlen Bäume im Vorgarten in zwielichte Schatten.
    So viele Szenarien sie in ihrem Kopf auch durchgespielt hatte: Über kurz oder lang hatte sie sie alle wieder verworfen und beschlossen, sich keine weiteren Gedanken darüber zu machen, bis sie Jake persönlich gegenüberstehen würde.
    Sie war immer noch hin- und hergerissen. Einerseits wollte sie am liebsten gleich mit ihm reden, andererseits würde sie gerne noch einen Tag länger so tun, als ob nichts passiert wäre. Den ganzen Tag war sie wirren Gedankengängen gefolgt, während ihr Verstand versucht hatte, das alles zu verarbeiten. Ohne Erfolg. Wie sollte man verarbeiten, dass man ein Vampir war? Selbst den Dracula-Roman hatte sie zur Hand genommen und nach wenigen Seiten resigniert weggelegt. Von dieser Seite war keine Hilfe zu erwarten.
    Was hatte Elias gesagt? Viele würden sie für das, was sie getan hatte, als Verräterin

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