Herbstfeuer
schrecklich?“
„Oh, ich denke, sie sind erträglich“, räumte Lillian widerstrebend ein. „Aber darum geht es nicht.“
Evie sprach als Erste, und ihre Augen wirkten vor Neugier ganz rund. „W-worum geht es dann?“
„Dass Westcliff dazu getrieben wurde – das Mädchen zu küssen, dass er nicht mag, nämlich mich – wegen dieses Parfüms!“ Lillian deutete auf den schimmernden Flakon.
Verwundert betrachteten die vier Mädchen den Flakon.
„Aber nein“, meinte Annabelle ungläubig.
„Aber ja“, wiederholte Lillian.
Daisy und Evie blieben stumm, ließen nur ihre Blicke zwischen den beiden hin und her wandern wie bei einem Tennismatch.
„Lillian, dass gerade du, das vernünftigste Mädchen, das ich kenne, behauptest, ein Parfüm zu besitzen, das wie ein Aphrodisiakum wirkt, ist das Merkwürdigste …“
„Aphrowas?“
„Ein Liebestrank“, sagte Annabelle. „Lillian, wenn Lord Westcliff Interesse an dir bekundet, dann nicht wegen deines Parfüms.“
„Was macht dich da so sicher?“
Annabelle zog die Brauen hoch. „Hat das Parfüm auf jeden anderen Mann in deinem Bekanntenkreis dieselbe Wirkung?“
„Nicht, dass es mir bewusst wäre“, räumte Lillian widerstrebend ein.
„Wie lange hast du es getragen?“
„Ungefähr eine Woche, aber ich …“
„Und der Earl scheint der einzige Mann zu sein, bei dem es wirkt?“
„Es werden auch andere Männer darauf reagieren“, widersprach Lillian. „Sie hatten nur noch keine Gelegenheit, es zu riechen.“ Als sie den ungläubigen Blick der Freundin bemerkte, seufzte sie. „Ich weiß, wie sich das anhört. Bis heute habe ich kein Wort von dem geglaubt, was Mr. Nettle über das Parfüm sagte. Aber ich versichere euch, in dem Moment, da der Earl nur etwas davon in die Nase bekam …“
Annabelle sah sie nachdenklich an und überlegte offensichtlich, ob das stimmen konnte.
In das Schweigen hinein sagte Evie: „Darf ich es p-probieren, Lillian?“
„Natürlich.“
Evie griff nach dem Parfümflakon, als wäre er etwas Hochexplosives, nahm den Stöpsel heraus, hob ihn an ihre sommersprossenbedeckte Nase und schnupperte. „Ich s-spüre nichts.“
„Ich frage mich, ob es nur bei Männern wirkt?“, überlegte Daisy laut.
„Ich hingegen frage mich“, begann Lillian langsam, „ob Westcliff sich auch zu einer von euch hingezogen fühlt, wenn sie das Parfüm trägt.“ Während sie sprach, sah sie Annabelle an.
Als die Freundin begriff, worauf Lillian damit hinauswollte, setzte sie eine gespielt missbilligende Miene auf. „Oh nein“, erwiderte sie und schüttelte heftig den Kopf. „Ich bin eine verheiratete Frau, Lillian, und ich liebe meinen Mann sehr. Daher habe ich keinerlei Interesse daran, seinen besten Freund zu verführen!“
„Natürlich sollst du ihn nicht verführen“, widersprach Lillian. „Nimm nur etwas von dem Parfüm, stell dich neben ihn, und warte ab, ob er dich bemerkt.“
„Ich würde es tun“, sagte Daisy begeistert. „Ich schlage vor, dass wir alle heute Nacht dieses Parfüm tragen und herausfinden, ob wir dadurch attraktiver auf Männer wirken.“
Bei diesem Gedanken musste Evie kichern, während Annabelle eine Grimasse zog. „Das kann nicht dein Ernst sein.“
Lillian lächelte. „Ein Versuch kann doch nicht schaden, oder? Betrachtet es als wissenschaftliches Experiment. Ihr sammelt nur Beweise, um eine Theorie zu untermauern.“
Annabelle stöhnte leise auf, als die beiden jüngeren Mädchen sich mit ein paar Tropfen des Parfüms betupften.
„Das ist das Dümmste, was ich je getan habe“, bemerkte sie, „noch absurder, als Baseball in Unterwäsche zu spielen. Gib mir das.“ Mit einem gequälten Gesichtsausdruck streckte sie die Hand nach dem Flakon aus und befeuchtete ihre Fingerspitze mit dem duftenden Elixier.
„Nimm ein bisschen mehr“, riet Lillian, die zufrieden zusah, wie Annabelle das Parfüm hinter ihre Ohren tupfte.
„Und auch etwas auf den Hals.“
„Normalerweise trage ich kein Parfüm“, sagte Annabelle. „Mr. Hunt mag den Duft sauberer Haut.“
„Vielleicht wird er die Königin der Nacht bevorzugen.“
Annabelle schien erschrocken. „Heißt das Parfüm so?“
„Es ist nach einer Orchidee benannt, die nachts blüht“, erklärte Lillian.
„Das ist gut“, bemerkte Annabelle sarkastisch. „Ich dachte schon, es sei nach einer Kokotte benannt.“
Ohne auf diese Bemerkung einzugehen, nahm Lillian ihr den Flakon wieder weg. Nachdem sie sich selbst einige
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