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Herbstfeuer

Herbstfeuer

Titel: Herbstfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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einem Mann zu sprechen. Außerdem …“ Annabeiles schöne Augen blitzten übermütig, und sie legte einen Arm um Lillians schmale Taille. „Du bist zu alt, um noch länger zu warten, meine Liebe.“
    Lillian bemühte sich, sie empört anzusehen, und erntete ein Lachen.
    „Was wolltest du mir noch sagen?“, fragte Annabelle.
    Lillian schüttelte den Kopf. „Lass uns warten, bis wir Evie getroffen haben, sonst muss ich alles wiederholen.“
    Sie gingen zu den Wohnräumen im unteren Stockwerk, wo die eleganten Gäste in Gruppen beieinanderstanden. In diesem Jahr war farbenfrohe Kleidung modern, zumindest bei den Damen, und so wirkte das Ganze ein bisschen wie eine Ansammlung von Schmetterlingen. Die Männer trugen wie immer schwarze Anzüge und weiße Hemden, die einzigen Unterschiede rührten von ihren schlicht gemusterten Westen und Halstüchern her.
    „Wo ist Mr. Hunt?“, fragte Lillian Annabelle.
    Bei der Erwähnung ihres Gemahls lächelte Annabelle. „Ich vermute, er trifft sich mit dem Earl und ein paar gemeinsamen Freunden.“ Sie kniff die Augen zusammen, als sie Evie erblickte. „Da ist Evie – und zum Glück scheint Tante Florence sie nicht so gut zu bewachen wie sonst.“
    Ganz allein, den gedankenverlorenen Blick auf einem alten, goldgerahmten Gemälde ruhend, schien Evie ganz in sich versunken zu sein. Mit ihrer gekrümmten Haltung wirkte sie demütig, als wollte sie um Verzeihung bitten – es war offensichtlich, dass sie sich nicht als Teil dieser Veranstaltung sah und es auch gar nicht sein wollte. Obwohl niemand Evie lange genug anzusehen schien, um sie wirklich zu bemerken, war sie genau genommen eine Schönheit – vielleicht sogar noch schöner als Annabelle – doch auf eine ganz und gar ungewöhnliche Weise. Sie war rothaarig und sommersprossig, mit großen, runden blauen Augen und sehr beweglichen, vollen Lippen, die gerade gänzlich außer Mode waren. Ihre Figur war atemberaubend, selbst wenn die ausgesprochen schlichten Kleider, die zu tragen sie gezwungen war, ihr wenig schmeichelten. Und natürlich trug ihre gebeugte Haltung nicht gerade zu ihrer Attraktivität bei.
    Lillian schlich vorwärts und erschreckte Evie, indem sie ihre Arme umfasste. „Komm“, flüsterte sie.
    Beim Klang ihrer Stimme glänzten Evies Augen. Sie zögerte und sah unsicher zu ihrer Tante hinüber, die zu ein paar Matronen in einer Ecke sprach. Nachdem sie überzeugt waren, dass Florence zu sehr ins Gespräch vertieft war, um sie zu bemerken, verließen die vier Mädchen den Salon und eilten den Gang hinunter wie entflohene Gefangene. „Wohin gehen wir?“, wollte Evie wissen.
    „Auf die hintere Terrasse“, erwiderte Annabelle.
    Sie liefen zur Rückseite des Hauses und dann durch eine Reihe französischer Türen hinaus, die auf eine weitläufige Terrasse führten. Die Terrasse erstreckte sich über die ganze Front, und von hier aus konnte man den gesamten Garten überblicken. Er wirkte wie ein Gemälde, mit Obstgärten, gepflegten Wegen und Beeten mit seltenen Blumen, die zu einem Wäldchen führten, wo der Itchen unter einer Steilküste dahinfloss, die von einer steinernen Mauer begrenzt wurde.
    Lillian drehte sich zu Evie herum und umarmte sie. „Evie!“, rief sie aus. „Ich habe dich so sehr vermisst! Wenn du wüsstest, wie viele Pläne wir geschmiedet haben, um dich deiner Familie zu entreißen! Warum erlauben sie nicht, dass eine von uns dich besucht?“
    „Sie ververachten mich“, erwiderte Evie mit erstickter Stimme. „Erst jetzt erkenne ich, w-wie sehr. Es begann damit, dass ich meinen Vater sehen wollte. Als sie mich erwischten, haben sie mich tagelang eingeschlossen, mit wenig zu essen und kaum Wasser. Sie sagten, ich sei undankbar und ungehorsam und dass mein schlechtes Blut doch noch durchkommt. Für sie b-bin ich nichts als ein schrecklicher Fehler, den meine Mutter begangen hat.
    Tante Florence sagt, dass sie tot ist, sei meine Schuld.“
    Erschrocken wich Lillian zurück, um die Freundin besser ansehen zu können. „Das hat sie gesagt? Mit diesen Worten?“
    Evie nickte.
    Ohne zu überlegen, stieß Lillian ein paar Schimpfwörter aus, die Evie erbleichen ließen. Eine von Lillians eher fragwürdigen Qualitäten war die Fähigkeit, zu fluchen wie ein Matrose – das rührte aus jener Zeit her, als sie sich häufig in der Gesellschaft ihrer Großmutter aufhielt, die als Wäscherin bei den Docks gearbeitet hatte.
    „Ich weiß, dass das n-nicht stimmt“, flüsterte Evie. „Ich

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