Herbstfeuer
umschloss ihren Kopf mit seinen kraftvollen Händen. „Halten Sie sich von ihm fern“, fuhr er sie an. „Er darf Sie nicht besitzen.“
„Warum nicht?“, fragte sie und wehrte sich gegen ihn. „Bin ich auch für ihn nicht gut genug? Nicht ebenbürtig, wie ich nun einmal bin …“
„Sie sind zu gut für ihn. Und er wäre der Erste, der das zugibt.“
„Ich mag ihn umso mehr, je weniger er Ihren hohen Erwartungen entspricht!“
„Lillian – halten Sie still, verdammt! – Lillian, sehen Sie mich an!“ Westcliff wartete, bis sie ruhig lag. „Ich will nicht, dass Sie verletzt werden.“
„Sind Sie jemals auf den Gedanken gekommen, Sie überheblicher Dummkopf, dass derjenige, der mich am ehesten verletzt, Sie sein könnten?“
Jetzt zuckte er zurück, als hätte sie ihm einen Schlag versetzt. Er starrte sie ausdruckslos an, obwohl sie beinahe sehen konnte, wie die Gedanken in seinem Kopf herumwirbelten auf der Suche nach einem Grund für diese Erklärung.
„Lassen Sie mich los“, verlangte Lillian.
Er erhob sich und umfasste die Enden ihres Korsetts. „Ich möchte Ihnen helfen. Sie können nicht halb bekleidet ins Haus zurückgehen.“
„Um Himmels willen“, gab sie hilflos spottend zurück, „wir müssen schließlich den Anstand wahren!“ Sie schloss die Augen und fühlte, wie er ihre Kleider richtete, das Korsett zuhakte und ihr Hemd verschnürte.
Endlich ließ er sie los, woraufhin sie wie ein aufgescheuchtes Wildtier hochsprang und zum Ausgang des versteckten Gartens eilte. Zu ihrer großen Verlegenheit konnte sie die Tür nicht finden, die von den Efeuranken verborgen wurde. Wie blind tastete sie hinter den Ranken umher und brach sich zwei Fingernägel ab, als sie nach dem Riegel griff.
Westcliff kam dazu, umfasste ihre Taille und durchkreuzte mühelos ihre Versuche, ihn abzuschütteln. Er zog sie an sich und flüsterte ihr ins Ohr: „Sind Sie ärgerlich, weil ich Sie lieben wollte oder weil ich es nicht zu Ende gebracht habe?“
Lillian leckte sich über die trockenen Lippen. „Ich bin ärgerlich, Sie verdammter Heuchler, weil Sie sich nicht entscheiden können, was Sie mit mir anfangen wollen.“ Mit einem Ellenbogenhieb gegen seine Rippen verlieh sie ihren Worten Nachdruck.
Der Stoß schien keine Wirkimg auf ihn zu haben. Er verbeugte sich spöttisch, dann ließ er sie los, griff nach dem verborgenen Türgriff und ließ sie entfliehen.
15. KAPITEL
Nachdem Lillian aus dem Garten der Schmetterlinge entkommen war, bemühte sich Marcus, seine Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte bei Lillian die Beherrschung verloren, hätte sie um ein Haar auf dem Boden genommen wie ein Barbar. Nur ein winziger Rest von Vernunft hatte ihn daran gehindert. Ein unschuldiges Mädchen, die Tochter eines seiner Gäste – Himmel, er musste den Verstand verloren haben!
Während er langsam durch den Garten ging, versuchte Marcus, eine Situation zu analysieren, von der er niemals gedacht hätte, dass er sie durchleben würde. Noch vor ein paar Monaten hatte er Simon Hunt verspottet wegen dessen Leidenschaft für Annabelle Peyton. Er hatte diese Macht nicht verstanden, hatte niemals ihre gewaltige Kraft verspürt – bis jetzt. Es war, als hätte alle Vernunft ihn verlassen.
Die Art, wie er auf Lillian reagierte, war ihm fremd. Niemand hatte ihm jemals das Gefühl gegeben, so wach zu sein, so lebendig, als hätte ihre Gegenwart allein all seine Sinne geschärft. Sie faszinierte ihn. Sie brachte ihn zum Lachen. Sie erregte ihn ungemein. Wenn er nur bei ihr liegen und diesem Verlangen ein Ende bereiten könnte! Und doch war er sich vollkommen darüber im Klaren, dass seine Mutter mit ihrem Urteil über die Bowman-Mädchen richtiggelegen hatte. „Vielleicht können wir ihre Oberfläche ein wenig polieren“, hatte die Countess gesagt. „Aber weiter wird mein Einfluss gewiss nicht gehen. Keines dieser Mädchen ist fügsam genug, um sich wesentlich zu ändern. Das betrifft vor allem die ältere Miss Bowman. Aus ihr kann man ebenso wenig eine Dame machen, wie man Katzengold in echtes Edelmetall verwandeln kann. Sie ist entschlossen, so zu bleiben, wie sie ist.“
Seltsamerweise war das einer der Gründe, warum Marcus sich so sehr zu Lillian hingezogen fühlte. Ihre Lebenskraft, ihr kompromissloses Wesen taten ihm wohl, wie ein frischer Luftzug in einem muffigen Zimmer.
Bloß war es unehrlich, um nicht zu sagen unfair von ihm, ihr weiterhin seine
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