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Herbstfeuer

Herbstfeuer

Titel: Herbstfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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sprach. Ihre Offenheit amüsierte ihn, und er war außerordentlich respektlos. Nicht einmal der eigene Vater, der Duke of Kingston, entging seinem Spott. Wie es schien, wusste der Duke weder, wie man Zahnpulver auf eine Zahnbürste tat, noch, wie man die Strumpfbänder anlegte, denn das hatte immer sein Lakai für ihn getan. Der Gedanke an ein so verwöhntes Dasein brachte Lillian zum Lachen, was St. Vincent veranlasste, sich scherzhaft darüber zu entsetzen, welch primitives Leben sie wohl in Amerika geführt haben mochte, da sie in einem Haus lebte, das an einer Zahl über der Tür zu identifizieren war, sich die Haare selber kämmte und ihre Schuhe allein band.
    St. Vincent war der einnehmendste Mann, dem Lillian je begegnet war. Hinter der Fassade seidenglatter Freundlichkeit aber lag eine Härte, eine Undurchdringlichkeit, die nur zu einem sehr kalten Mann gehören konnte.
    Oder einem sehr vorsichtigen. Wie dem auch sein mochte, Lillian wusste genau, dass sie niemals herausfinden würde, welche Art von Wesen tief im Inneren dieses eleganten Geschöpfs lauern mochte. Er war so schön wie eine Sphinx und ebenso rätselhaft.
    „St. Vincent muss eine vermögende Partie machen“, berichtete Annabelle eines Nachmittags, als die Mauerblümchen unter einem Baum zusammensaßen, um zu zeichnen und zu aquarellieren. „Mr. Hunt sagt, der Duke – Lord St. Vincents Vater – wird ihm demnächst die jährliche Apanage streichen, denn es ist nicht mehr viel Geld da. Ich fürchte, viel wird St. Vincent nicht erben.“
    „Was geschieht, wenn das Geld verbraucht ist?“, fragte Daisy, während sie den Bleistift mit energischen Bewegungen über das Papier führte, um eine Landschaft zu skizzieren. „Wird St. Vincent einen Teil seiner Güter und Ländereien verkaufen, wenn er ein Duke wird?“
    „Das kommt darauf an“, erwiderte Annabelle, hob ein Blatt auf und betrachtete eingehend das zarte Aderngeflecht auf der bernsteinfarbenen Oberfläche. „Wenn der Großteil der Besitztümer, die er erbt, dem Fideikommiss unterliegt, dann nicht. Aber du musst nicht fürchten, dass er verarmt. Es gibt viele Familien, die ihn reichlich entschädigen, wenn er eine ihrer Töchter heiratet.“
    „Meine zum Beispiel“, sagte Lillian sarkastisch.
    Annabelle beobachtete sie genau, als sie sagte: „Liebes, hat St. Vincent dir gegenüber etwas von seinen Absichten geäußert?“
    „Kein Wort.“
    „Hat er je versucht …“
    „Himmel, nein!“
    „Dann hat er vor, dich zu heiraten“, erklärte Annabelle mit beunruhigender Gewissheit. „Wenn er nur ein Abenteuer sucht, hätte er bereits versucht, dich zu kompromittieren.“
    Die Stille, die darauf folgte, wurde nur vom leisen Rascheln der Blätter in den Bäumen unterbrochen und dem Kratzen von Daisys Bleistift.
    „W-was wirst du tun, wenn Lord St. Vincent dir einen Antrag macht?“, fragte Evie und spähte Lillian über den Rand ihres Wasserfarbkastens hinweg an, dessen oberer Teil ihr als Staffelei diente.
    Gedankenversunken zupfte Lillian Grashalme aus. Dann fiel ihr ein, dass diese Aktivitäten an Mercedes erinnerten, die die Angewohnheit hatte, an Dingen zu zupfen und zu reißen, und sie hielt inne und warf das Gras beiseite. „Ich werde natürlich annehmen“, sagte sie. Die anderen drei Mädchen sahen sie überrascht an. „Warum sollte ich nicht?“, fuhr sie fort. „Ist euch klar, wie wenige Dukes es gibt? Mutters Adelsbericht zufolge gibt es ganze neunundzwanzig in ganz Großbritannien.“
    „Aber Lord St. Vincent ist ein schamloser Schürzenjäger“, sagte Annabelle. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du als seine Gemahlin so ein Verhalten tolerieren würdest.“
    „Auf die eine oder andere Weise sind alle Ehemänner untreu.“ Lillian versuchte, sachlich zu sprechen, allerdings klang ihr Tonfall irgendwie abweisend und gekränkt.
    Annabelle sah sie mitleidig an. „Das glaube ich nicht.“
    „Die neue Saison hat noch nicht einmal angefangen“, fügte Daisy hinzu. „Und jetzt, da die Countess unsere Fürsprecherin ist, werden wir mehr Glück haben als im letzten Jahr. Es ist nicht nötig, dass du Lord St. Vincent heiratest, wenn du nicht willst – egal, was Mutter sagt.“
    „Ich will ihn heiraten.“ Lillian fühlte selbst, dass sie den Mund eigensinnig zusammenkniff. „Tatsächlich freue ich mich auf den Augenblick, wenn St .Vincent und ich als Duke und Duchess of Kingston an einem Dinner teilnehmen – einem Dinner, an dem auch Westcliff

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