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Herbstfeuer

Herbstfeuer

Titel: Herbstfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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schien.
    Lillian fühlte sich versucht, das betörende Getränk zu kosten, aber Damen tranken keine geistvollen Getränke. Vor allem nicht, wenn sie allein in der Bibliothek waren. Wenn man sie erwischte, sähe das sehr schlecht aus. Auf der anderen Seite – alle Gentlemen waren beim Rennen, die Damen ins Dorf gefahren, und die meisten Dienstboten hatten freibekommen.
    Sie warf einen Blick zu dem menschenleeren Gang zurück, dann einen auf die verführerische Flasche. In der Stille tickte eine Standuhr. Plötzlich hörte sie wieder St. Vincents Stimme: Ich werde Ihren Vater um die Erlaubnis bitten, Ihnen den Hof zu machen.
    „O verdammt“, murmelte sie vor sich hin, bückte sich und begann, in dem unteren Fach des Schrankes nach einem Glas zu suchen.

17. KAPITEL
    „Mylord.“
    Als er die Stimme seines Butlers hörte, sah Marcus mit einem leichten Stirnrunzeln von seinem Schreibtisch auf. In den letzten zwei Stunden hatte er an einer Liste mit Forderungen gearbeitet, die sein Komitee demnächst dem Parlament vorlegen wollte. Wenn die Forderungen angenommen würden, bedeutete das eine erhebliche Verbesserung des Entwässerungssystems in allen Häusern und auf allen Straßen Londons und seiner Umgebung.
    „Ja, Salter“, sagte er knapp, verärgert über die Störung. Doch der alte Familienbutler würde ihn niemals stören, wenn es nicht um etwas Wichtiges ginge.
    „Es gibt – eine Situation, Mylord, bei der ich sicher bin, dass Sie darüber informiert sein möchten.“
    „Welche Art von Situation?“
    „Es betrifft einen der Gäste, Mylord.“
    „Nun?“, fragte Marcus, den die Vagheit des Butlers verärgerte. „Wer ist es? Und was tut er?“
    „Ich fürchte, bei der Person handelt es sich um eine ‚Sie‘, Mylord. Einer der Lakaien setzte mich soeben davon in Kenntnis, dass er Miss Bowman in der Bibliothek sah, und sie – es geht ihr nicht gut.“
    Marcus stand so schnell auf, dass sein Stuhl hintenüberkippte. „Welche Miss Bowman?“
    „Ich weiß es nicht, Mylord.“
    „Was meinen Sie mit ‚es geht ihr nicht gut‘? Ist jemand bei ihr?“
    „Ich glaube nicht, Mylord.“
    „Ist sie verletzt? Ist sie krank?“
    Salter bedachte ihn mit einem etwas gequälten Blick. „Weder noch, Mylord. Es geht ihr nur nicht gut.“
    Um nicht mit weiteren Fragen noch mehr Zeit zu verlieren, verließ Marcus leise fluchend den Raum und eilte mit so langen Schritten in die Bibliothek, dass er beinahe rannte. Was in Gottes Namen konnte Lillian oder ihrer Schwester zugestoßen sein? Er war sofort sehr besorgt.
    Während er durch die Gänge hastete, durchzuckte eine Reihe unwichtiger Gedanken seinen Kopf. Wie leer das Haus ohne Gäste zu sein schien, mit seinen endlosen Gängen und zahllosen Zimmern. Ein großes, altes Haus mit der unpersönlichen Atmosphäre eines Hotels. In einem Haus wie diesem sollten Kinderstimmen durch die Gänge hallen, sollte Spielzeug auf dem Salonboden liegen, und aus dem Musikzimmer sollten die kratzenden Geräusche des Geigenunterrichts dringen. Die Wände sollten Flecke haben, zum Tee müsste es klebrige Marmeladekuchen geben, und Spielzeugreifen sollten über die hintere Terrasse rollen.
    Bisher hatte Marcus an eine Heirat nur als notwendige Pflicht gedacht, um die Linie der Marsdens fortzusetzen.
    Doch in letzter Zeit hatte er erkannt, dass seine Zukunft sich sehr von seiner Vergangenheit unterscheiden könnte.
    Es könnte ein neuer Anfang werden – eine Chance, eine Familie zu gründen, wie er sie sich nie zu erträumen gewagt hatte. Es erschreckte ihn, als er begriff, wie sehr er sich danach sehnte – und zwar nicht mit irgendeiner Frau. Mit keiner Frau, die er je gesehen, von der er je gehört hatte – abgesehen von jener einen, die das vollkommene Gegenteil von dem war, was er begehren sollte. Doch ganz allmählich war ihm das egal.
    Er ballte die Hände zu Fäusten, so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten, und ging noch schneller. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er die Bibliothek erreichte. Als er die Schwelle überschritt, schlug sein Herz schmerzhaft heftig in seiner Brust, in einem Rhythmus, der nichts mit Erschöpfung, dafür aber sehr viel mit Panik zu tun hatte. Was er sah, ließ ihn mitten in dem großen Raum stehen bleiben.
    Lillian stand vor einer Reihe von Büchern, umgeben von einigen weiteren, die sich auf dem Boden stapelten. Sie nahm ein wertvolles Buch nach dem anderen aus den Regalen, betrachtete es mit gerunzelter Stirn und warf es dann

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