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Herbstfeuer

Herbstfeuer

Titel: Herbstfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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teilnimmt, und ich werde vor ihm in den Speisesaal geleitet, denn der Titel meines Gemahls ist ranghöher als der seine. Ich werde dafür sorgen, dass es Westcliff leidtut. Ich werde dafür sorgen, dass er wünscht …“ Sie unterbrach sich, weil sie erkannte, dass ihr Ton viel zu scharf war und viel zu viel verriet. Kerzengerade setzte sie sich hin und betrachtete einen fernen Punkt in der Landschaft. Als Daisy ihre kleine Hand auf ihren Rücken legte, zuckte sie zusammen.
    „Vielleicht ist es dir bis dahin egal“, meinte sie leise.
    „Vielleicht“, stimmte Lillian düster zu.
    Am darauf folgenden Nachmittag hielten sich kaum Gäste auf dem Anwesen auf, denn die Mehrzahl der Gentlemen besuchte ein Rennen in der Nähe, um nach Herzenslust zu wetten, zu trinken und zu rauchen. Die Damen wurden in einer Kutschenkolonne zum Dorf gefahren, wo eine Londoner Schaustellertruppe anlässlich eines Fests eine Vorstellung gab. Voller Vorfreude auf ein wenig Zerstreuung durch leichte Komödien und Musik verließen die weiblichen Gäste das Anwesen in Scharen. Obwohl Annabelle, Evie und Daisy auf Lillian einredeten, sie sollte sie begleiten, lehnte Lillian ab. Der Anblick von ein paar reisenden Schauspielern reizte sie nicht. Sie wollte sich nicht zum Lächeln und Lachen zwingen. Sie wollte nichts anderes tun als allein spazieren gehen – Meilen um Meilen, bis sie zu müde war, um an irgendetwas zu denken.
    Allein ging sie in den hinteren Garten und folgte dem Pfad bis zum Nixenbrunnen, der wie ein Schmuckstein in der Mitte einer gepflasterten Lichtung stand. Eine Hecke in der Nähe war von Glyzinien bedeckt, als hätte jemand eine Reihe rosa Teebeutel darauf verteilt. Lillian setzte sich an den Rand des Brunnens und starrte in das schäumende Wasser. Dass jemand kam, hörte sie erst, als sie eine ruhige Stimme vom Weg her vernahm.
    „Welch Glück, Sie gleich an dem ersten Ort zu finden, an dem ich nachsehe.“
    Lächelnd hob sie den Kopf und begegnete dem Blick Lord St. Vincents. Sein goldschimmerndes Haar schien das Sonnenlicht einzufangen. Sein Teint, seine Haarfarbe, das alles war zweifellos englisch, aber der dramatische Bogen seiner Wangenknochen, die ihm etwas Raubtierhaftes verliehen, und die sinnlichen, vollen Lippen gaben ihm einen exotischen Zug.
    „Sind Sie heute Morgen nicht mitgegangen zum Rennen?“, fragte Lillian.
    „Ich werde gleich gehen. Zuerst wollte ich mit Ihnen sprechen.“ St. Vincent warf einen Blick auf den Platz neben ihr. „Darf ich?“
    „Aber wir sind allein“, sagte sie. „Und Sie haben immer auf einer Anstandsdame bestanden.“
    „Heute habe ich meine Meinung geändert.“
    „Oh.“ Ihr Lächeln wirkte ein wenig unsicher. „In diesem Fall – setzen Sie sich.“ Sie errötete, weil ihr einfiel, dass dies genau die Stelle war, an der sie Lady Olivia und Mr. Shaw in einer so leidenschaftlichen Umarmung gesehen hatte. An dem Glitzern in St. Vincents Augen erkannte sie, dass auch er sich erinnerte.
    „Am kommenden Wochenende“, sagte er, „wird diese Gesellschaft vorüber sein – und dann geht es zurück nach London.“
    „Sie müssen sich danach sehnen, zu den Belustigungen des Stadtlebens zurückzukehren“, meinte Lillian. „Für einen Schürzenjäger haben Sie sich sehr brav verhalten.“
    „Selbst wir berüchtigten Schurken brauchen gelegentlich Ferien. Ständige Verderbtheit wäre langweilig.“
    Lillian lächelte. „Schurke oder nicht, ich habe in diesen Tagen Ihre Freundschaft genossen, Mylord.“ Kaum hatte sie das ausgesprochen, da erkannte sie, dass das der Wahrheit entsprach.
    „Dann denken Sie an mich als an einen Freund?“, fragte er leise. „Das ist gut.“
    „Warum?“
    „Weil ich Sie gern weiterhin sehen würde.“
    Ihr Herz schlug schneller. Obwohl die Bemerkung nicht unerwartet kam, fand sie sie dennoch verwirrend. „In London?“, fragte sie.
    „Wo immer Sie sich aufhalten. Sind Sie einverstanden?“
    „Nun, natürlich, es – ich – ja.“
    Als er sie so ansah – mit dem Gesicht eines gefallenen Engels – und lächelte, war Lillian genötigt, Daisys Urteil über St. Vincents animalischen Magnetismus zuzustimmen. Er sah aus wie ein Mann, der für die Sünde geboren war – ein Mann, der eine Sünde zu einem solchen Vergnügen machen konnte, dass es einem kaum etwas ausmachte, danach den Preis zu zahlen.
    Langsam streckte St. Vincent die Hand nach ihr aus und strich über ihre Schultern und ihren Hals. „Lillian, meine Liebe. Ich

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