Herbstfeuer
Zähne hindurch.
„Mein Finger steckt fest.“
Er riss die Augen auf. Verwirrt sah er zu, wie Lillian an ihrem Finger zerrte.
„Ich kann ihn nicht herausbekommen.“
„Ziehen Sie einfach.“
„Es tut weh. Es pocht.“
„Ziehen Sie fester.“
„Ich kann nicht! Er steckt wirklich fest! Ich brauche etwas, damit er glitschig wird. Haben Sie etwas wie Schmieröl?“
„Nein.“
„Gar nichts?“
„Es mag Sie vielleicht überraschen, aber bisher haben wir in der Bibliothek niemals Schmieröl gebraucht.“
Stirnrunzelnd sah sie ihn an. „Ehe Sie anfangen, mich zu kritisieren, Westcliff, möchte ich darauf hinweisen, dass ich nicht die erste Person bin, die mit dem Finger in einer Flasche stecken geblieben ist. Das passiert ständig.“
„Wirklich? Das muss sich auf Amerikaner beziehen. Denn bisher habe ich noch nie einen Engländer gesehen, dem eine Flasche am Finger hing. Nicht einmal, wenn er betrunken war.“
„Ich bin nicht betrunken. Ich bin nur – wo gehen Sie hin?“
„Bleiben Sie hier“, befahl Marcus und ging hinaus. Als er auf den Gang trat, sah er eines der Hausmädchen mit einem Stapel voller Putzutensilien. Bei seinem Anblick blieb das dunkelhaarige Mädchen stehen, eingeschüchtert von seiner finsteren Miene. Er versuchte, sich an ihren Namen zu erinnern. „Meggie“, fiel ihm dann ein. „Sie sind doch Meggie, oder?“
„Ja, Mylord“, sagte sie scheu und knickste.
„Haben Sie Seife oder Politur dabei?“
„Ja, Sir“, erwiderte sie verwirrt. „Die Haushälterin sagte, ich solle die Stühle in den Billardzimmern polieren …“
„Woraus ist sie gemacht?“, unterbrach er das Mädchen und überlegte, ob sich auf diese Weise wohl das gewünschte Mittel beschaffen ließ. Da er den verständnislosen Ausdruck des Mädchens bemerkte, fügte er erklärend hinzu: „Die Politur, Meggie.“
Sie sah ihn aus großen Augen an und verstand nicht, warum sich der Herr für solche Dinge interessierte.
„Bienenwachs“, erwiderte sie zögernd. „Und Zitronensaft. Und ein oder zwei Tropfen Öl.“
„Das ist alles?“
„Ja, Mylord.“
„Gut“, sagte er und nickte. „Geben Sie es mir bitte.“
Das Mädchen griff in den Stapel, zog eine kleine Dose des gelben Wachses hervor und reichte es ihm. „Mylord, wenn ich etwas polieren soll …“
„Das ist alles, Meggie. Danke.“
Sie knickste schnell und sah ihm nach, als hätte er den Verstand verloren.
Bei seiner Rückkehr in die Bibliothek lag Lillian rücklings auf dem Teppich. Zuerst dachte er, sie wäre bewusstlos geworden, doch beim Näherkommen entdeckte er, dass sie einen langen hölzernen Zylinder in der freien Hand hielt und hindurchsah. „Ich habe es gefunden!“, rief sie triumphierend. „Das Kaleidoskop. Es ist sehr interessant.
Aber nicht ganz das, was ich erwartet habe.“
Stumm streckte er die Hand aus, nahm ihr das Instrument ab und drehte es herum, sodass sie von der anderen Seite her hineinsehen konnte.
Prompt schrie Lillian leise auf vor Verblüffung. „Oh, das ist schön – wie funktioniert es?“
„An dem einen Ende sind besonders platzierte Scheiben von versilbertem Glas, und dann …“ Er verstummte, als sie das Ding auf ihn richtete.
„Mylord“, sprach sie und bemühte sich sehr um eine deutliche Aussprache. „Sie haben – hundert Augen.“ Sie begann zu kichern, so heftig, dass ihr das Kaleidoskop aus der Hand fiel.
Marcus ließ sich neben ihr auf die Knie nieder und sagte: „Geben Sie mir Ihre Hand. Nein, nicht die. Die mit der Flasche daran.“
Sie blieb auf dem Rücken liegen, während Marcus ein bisschen von der Politur auf das sichtbare Stück ihres Fingers rieb bis dorthin, wo der Flaschenrand ihren Finger umschloss. Unter seiner warmen Handfläche entfaltete das Wachs seinen Duft, und es roch nach Zitrone. Lillian holte genüsslich tief Atem.
„Oh, das gefällt mir.“
„Können Sie jetzt den Finger herausziehen?“
„Noch nicht.“
Er rieb weiter das ölige Wachs über ihren Finger und den Flaschenhals. Bei der sanften Bewegung entspannte Lillian sich und schien zufrieden damit zu sein, dazuliegen und ihn zu beobachten.
Er blickte auf sie hinab, und es fiel ihm schwer, sie nicht sofort in seine Arme zu ziehen. „Macht es Ihnen etwas aus, mir zu erzählen, warum Sie nachmittags Birnenbrandy trinken?“
„Weil ich den Sherry nicht aufbekam.“
Um seine Lippen zuckte es. „Ich meinte: Warum haben Sie überhaupt getrunken?“
„Oh. Ich fühlte mich etwas –
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