Herbstfeuer
angespannt. Und ich dachte, vielleicht hilft mir das zu entspannen.“
Marcus rieb den Ansatz ihres Fingers. „Warum fühlten Sie sich angespannt?“
Lillian wandte das Gesicht ab. „Darüber möchte ich nicht reden.“
„Hmmm.“
Sie drehte sich wieder zu ihm um und kniff die Augen zusammen. „Was meinen Sie damit?“
„Ich meinte gar nichts damit.“
„Doch. Das war kein gewöhnliches ‚hmmm‘. Es klang missbilligend.“
„Ich habe mir nur so meine Gedanken gemacht.“
„Verraten Sie mir, welche“, verlangte sie. „Worüber machen Sie sich Gedanken?“
„Ich denke, es hat etwas mit St. Vincent zu tun.“ An dem Schatten, der über ihr Gesicht zu fallen schien, erkannte er, dass er recht hatte. „Erzählen Sie, was geschehen ist“, sagte er und beobachtete sie genau.
„Wissen Sie“, sagte sie verträumt und ging über seine Frage hinweg, „Sie sind nicht annähernd so schön wie Lord St. Vincent.“
„Das überrascht mich aber“, erwiderte er trocken.
„Aber aus irgendeinem Grund“, fuhr sie fort, „hatte ich nie so große Sehnsucht, ihn zu küssen, wie Sie.“ Es war gut, dass sie die Augen geschlossen hielt, denn hätte sie seine Miene gesehen, hätte sie vielleicht nicht weitergesprochen. „Sie haben etwas an sich, das mir das Gefühl gibt, schrecklich böse zu sein. Sie bringen mich dazu, schreckliche Dinge tun zu wollen. Vielleicht weil Sie so anständig sind. Niemals ist Ihre Krawatte verschoben, und Ihre Schuhe glänzen immer. Und Ihre Hemden sind immer gestärkt. Manchmal sehe ich Sie an und möchte Ihnen alle Knöpfe abreißen. Oder Ihre Hose anzünden.“ Sie kicherte hilflos. „Häufig habe ich mich gefragt – sind Sie kitzelig, Mylord?“
„Nein“, stieß Marcus hervor, und sein Herz unter dem gestärkten Hemd klopfte heftig. Glühend loderte die Flamme der Lust in ihm auf, und am liebsten hätte er sich auf das zarte weibliche Wesen zu seinen Füßen gestürzt. Sein Ehrgefühl erinnerte ihn daran, dass sie nicht die Frau war, die er in sein Bett holen durfte. Sie war hilflos. Sie war noch Jungfrau. Wenn er sie in dieser Verfassimg nahm, würde er sich das niemals verzeihen …
„Es hat funktioniert!“ Lillian hielt ihre Hand hoch und winkte heftig. „Mein Finger ist heraus.“ Sie lächelte breit.
„Warum runzeln Sie die Stirn?“ Sie richtete sich zum Sitzen auf und hielt sich dabei an seiner Schulter fest. „Diese kleine Falte zwischen Ihren Brauen – am liebsten würde ich …“ Sie verstummte, während sie seine Stirn betrachtete.
„Was?“, flüsterte Marcus und war nahe daran, seine Selbstkontrolle zu verlieren.
Sie hielt noch immer seine Schultern umklammert, als sie sich hinkniete. „Das hier tun.“ Sie küsste ihn zwischen die Brauen.
Marcus schloss die Augen und stöhnte leise. Er begehrte sie. Nicht nur für das Bett – obwohl dies im Augenblick sein hauptsächlicher Gedanke war sondern überhaupt. Er konnte es nicht länger leugnen. Für den Rest seines Lebens würde er jede Frau mit ihr vergleichen, und keine würde seinen Ansprüchen genügen. Ihr Lächeln, ihre scharfe Zunge, ihr Temperament, ihr ansteckendes Lachen, ihr Körper und ihr Geist – alles an ihr schlug eine Saite in seinem Innern an. Sie war unabhängig, willensstark, eigensinnig – lauter Eigenschaften, die Männer gewöhnlich bei einer Frau nicht schätzten. Doch ihm gefiel es, das ließ sich nicht leugnen, und diese Erkenntnis traf ihn unerwartet.
Es gab nur zwei Möglichkeiten, mit dieser Situation umzugehen. Er konnte weiterhin versuchen, ihre Nähe zu meiden, was bisher ein entsetzlicher Fehlschlag gewesen war, oder er könnte sich ergeben. Sich ergeben – wohl wissend, dass sie nie die stille, anständige Gemahlin sein würde, die er sich immer vorgestellt hatte. Wenn er sie heiratete, würde er das Schicksal verändern, das ihm schon bestimmt gewesen war, ehe er geboren wurde.
Nie würde er ganz sicher sein können, was er von Lillian zu erwarten hatte. Nicht immer würde er ihr Verhalten verstehen können, und wann immer er versuchen würde, sie zu beherrschen, würde sie sich wehren wie ein wildes Tier. Sie würden streiten. Nie würde sie zulassen, dass er zu bequem wurde.
Himmel, war das die Zukunft, die er sich wünschte? Ja. Ja. Ja.
Marcus schmiegte sich an ihre zarte Wange und genoss den Duft ihres brandygeschwängerten Atems. Er würde sie nehmen. Mit beiden Händen umschloss er ihren Kopf und führte ihren Mund zu sich heran. Sie gab
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