Herbstfraß
Getöse ins Schloss.
Wenig später liege ich in einem viel zu großen Bett und rede mir ein, wie schön es ist, endlich einmal ausreichend Platz zu haben. Ich grabe mein Gesicht in das Kissen und schlinge die Arme darum. Als erwachsener Mann kann ich durchaus ohne einen Gute-Nacht-Kuss einschlafen. Und weil ich ein echter Kerl bin, geht mir Bos Gezicke ziemlich am Allerwertesten vorbei.
Es wird Mitternacht, dann zeigt der Wecker 01:00 Uhr an. Ich drehe mich von einer Seite zur anderen, schiebe die Decke mal tiefer und ziehe sie im nächsten Moment wieder bis zur Nasenspitze empor. Natürlich kann ich ohne Bo einschlafen. Ich bin einfach nur nicht müde.
Zweiter Ermittlungstag
Dienstag, 09. November
09:58 Uhr
Die Morgensonne auf der Nase kitzelt mich wach. Verflixt und zugenäht! Ich habe glatt verschlafen. Normalerweise bin ich immer früh im Büro. Ich springe aus dem Bett und schleiche mich in Richtung Wohnzimmer. Es ist verlassen. Sorgfältig zusammengefaltet liegt Bos Bettwäsche auf dem Sofa. Meine Laune sinkt dramatisch.
Im Bad stelle ich fest, dass der Spiegel und das Waschbecken blitzblank geschrubbt sind. Ich ziehe eine Grimasse und stelle mich unter die Dusche. Beim Einseifen muss ich ständig gähnen. In einem masochistischen Anfall drehe ich das Wasser auf kalt, um endlich wach zu werden. Zu meinem Leidwesen hilft es bloß bedingt. Dafür friere ich nun. Nach einem weiteren Blick in den Spiegel verzichte ich auf eine Rasur. Der dunkle Bartschatten lässt mich ein bisschen verwegen aussehen und hebt die karamellfarbenen Augen hervor. Ich ziehe einen schwarzen Kaschmirpulli und eine ebenfalls schwarze Jeans an, die geradezu perfekt auf den Hüften sitzt. Mit den gespreizten Fingern fahre ich ein weiteres Mal durch das feuchte Haar und marschiere wenig später in das Büro.
Das Styling scheint perfekt, denn Louisa wirft mir mit einem Lächeln eine Kusshand zu. Auf dem Schreibtisch dampft bereits eine Tasse Tee. Daneben liegen zwei Zimtbrötchen. Ich liebe Zimtbrötchen. Außerdem stehen die Kugelschreiber in einem neuen Blumentopf. Der ist kirschrot und mit kleinen Gänseblümchen bemalt. Sehr hübsch, dennoch etwas unpassend zu meinem heutigen Auftritt. Bo, der an dem dritten Schreibtisch sitzt, ignoriere ich geflissentlich. Ich beiße in eines der Brötchen und schwelge im Genuss von Zimt und Zucker, nehme einen Schluck von dem Tee der Sorte Der lustige Benedetto und schalte den Rechner ein. In aller Seelenruhe, zumindest nach außen hin, beginne ich den notwendigen Bericht über den Wirtschaftsdiebstahl zu tippen. Dabei zittere ich – lediglich innerlich – vor Anspannung.
Der Bericht ist beinahe fertig, als ich mich beobachtet fühle. Ich schaue auf und begegne Bos Blick. Dunkle Ränder liegen unter den Augen meines Tweetys … äh … Geschäftspartners. Konnte er etwa auch nicht schlafen? Tja, das hätte er selbstverständlich anders haben können. Ich gebe ein abfälliges Schnaufen von mir und vertiefe mich erneut in den Bericht. Mir ist durchaus klar, dass ich schmolle und dass dieses Verhalten für einen coolen Detektiv überhaupt nicht mehr cool ist. Im Moment ist es mir allerdings egal, wie mein Verhalten gewertet wird. Ich finde, ich habe jedes Recht zu schmollen. Wenig später drucke ich meinen Bericht zweimal aus, unterschreibe und überreiche ihn Louisa zusammen mit einem Schmierzettel, auf dem ich den Zahlbetrag notiert habe. Louisa wird dem Bericht eine formvollendete Rechnung beifügen und den Zahlungseingang überwachen. Erneut ist ein Fall abgeschlossen. Ich bin stolz auf mich und klopfe mir gedanklich auf die Schulter.
Gerade schlucke ich den letzten Bissen des köstlichen Brötchens, als ich Bo hinter mir spüre. Mein ganzer Körper reagiert mit einem intensiven Prickeln auf seine Nähe.
„Hast du gestern auf Ingos Notebook etwas finden können, das uns weiterhilft?“, fragt er leise.
Ich fühle seinen warmen Atem im Nacken, der dafür sorgt, dass alle Nervenbahnen auf Hochtouren laufen. Ich muss mich ziemlich zusammennehmen, um nicht hemmungslos nach Liebe zu betteln. Wortlos drücke ich ihm einige Seiten Papier in die Hand.
„Was ist das?“
„Das Ergebnis meiner Arbeit. Du kannst es dir gerne ansehen“, antworte ich patzig.
„Ich muss unbedingt aufs Klo.“ Louisa verdrückt sich und sucht jetzt sicherlich Asyl bei Oma Jansen.
„Kannst du mir nicht einfach sagen, was du gefunden hast?“ Bo geht ein bisschen auf Distanz. Irre ich mich oder liegt da Sehnsucht
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