Herbstfrost
»Simba nannten ihn damals nur
seine Kumpane. Als Student trug er sein blondes Haar lang wie eine Löwenmähne,
außerdem heißt er mit Vornamen Leo. Wir reden von Leo Piritz, dem
Vizepräsidenten der OSTBAU .«
Jutta Dietrich schwieg. Sie schaute an ihm vorbei zur angelehnten
Küchentür. Er begriff erst, als die Tür aufschwang.
»Bravo, Jacobi. Für einen Beamten arbeitest du bemerkenswert flott,
und ich muss schon sagen: Eine Zeit lang warst du gefährlicher als Schremmer.«
Leo Piritz musste sich bücken, um nicht gegen den Türrahmen zu
stoßen. Er hielt eine Steyr Mannlicher M in der Rechten. Jacobi wandte den
Kopf nach rechts, ließ aber die Hände, wo sie waren. Er fürchtete, Piritz würde
bei der kleinsten verdächtigen Bewegung abdrücken.
»Das ist kein besonderes Lob«, sagte Jacobi, den Schock
überspielend. »Schremmer kann ja niemandem mehr gefährlich werden.«
Piritz trat an ihn heran, presste ihm den Pistolenlauf hinters Ohr
und nahm ihm die Dienstwaffe ab.
»Nun, das gleicht sich aus: du auch nicht. Aber es imponiert mir,
wie gelassen du die Niederlage nimmst. Schlechte Verlierer sind mir ein
Gräuel.«
»Meine Ruhe ist nur gespielt. In Wirklichkeit könnte ich mich
ohrfeigen.«
Piritz setzte sich auf den längeren Teil der Eckbank. Von dort aus
hatte er sowohl Jacobi als auch Jutta im Blickfeld. Sein Jäger-Outfit passte in
die Umgebung wie die Faust aufs Auge.
»Kann ich verstehen. So knapp vor dem Sieg matt gesetzt zu werden,
kann einen ganz schön wurmen. Vor allem, wenn es durch einen so lächerlichen
Zufall wie einen Wettersturz geschieht.«
Jacobi wusste, was er meinte. Bei freundlicherem Wetter hätte sich
Piritz längst auf dem Rückweg befunden – mit Juttas Leiche im Kofferraum. Auch
dann wären sie sich begegnet, aber die Chancen wären anders verteilt gewesen.
So jedoch hatte Piritz alle Trümpfe in der Hand. Außerdem würde es sich
erübrigen, Juttas Leiche verschwinden zu lassen. Er würde beide Leichen
malerisch in der Stube drapieren können: Ihn, Jacobi, mit Magnumpatronen
gespickt, als hätte ihm Jutta in Panik ein ganzes Magazin in den Leib gejagt,
sie mit einer neun Millimeter Parabellum im Herzen, abgefeuert aus der Glock
des tödlich getroffenen Jacobi. Sollte Schremmers Leiche jemals gefunden
werden, so würde man feststellen, dass er mit derselben Waffe erschossen worden
war wie Jacobi. Wenn Jutta das jetzt nicht kapierte, dann hatte sie in den
letzten Tagen geistig rapide abgebaut.
Als hätte Piritz Jacobis Gedanken gelesen, fügte er hinzu: »Der
Quattro kann natürlich nicht hier oben stehen bleiben. Wir werden ihn zum
Parkplatz hinunterschleppen.«
Jutta wird sich doch nicht an diesen Strohhalm klammern, dachte
Jacobi.
Doch! Wahrscheinlich tat sie genau das, und er hätte an ihrer Stelle
nicht anders reagiert.
»Dich werden wir ebenfalls woanders parken«, fügte Piritz an Jacobi
gewandt kalt hinzu. »In einem Moorloch in der Klausen. Dort wirst du Schremmer
bis zum Jüngsten Tag Gesellschaft leisten. Niemand wird euch jemals finden.«
Als Piritz die Pistole hob, machte die Todesangst Jacobi das Atmen
schwer.
Da läutete das Funktelefon.
Piritz ließ es läuten, bis der Anrufer die Geduld verlor, dann
knüpfte er dort an, wo das Läuten ihn unterbrochen hatte: »Tut mir leid, aber
es geht nicht anders. Ich kann mir nicht von dir alles kaputt machen lassen.
Und erwarte bloß keine Hilfe von Marlene! Ihr ist ein Leben in Reichtum und
Freiheit auch lieber, als ihre schönsten Jahre wegen Beihilfe hinter Gittern zu
verbringen. Sie wird meinen Freund Guido von Framberg-Mauthen heiraten. Er ist
fünfundsiebzig und wird ihr in nicht allzu langer Zeit ein Vermögen hinterlassen,
nach dem sich manche Jetsetterin schon vergeblich die Finger geleckt hat.
Marlene, sag dem Herrn Hauptmann, wie viel du davon hältst, im Knast zu
vertrocknen.«
»Gar nichts. Das hat er inzwischen hoffentlich geschnallt«, sagte
sie patzig.
Piritz grinste zufrieden. »Hast du das gehört, Jacobi? Bis morgen
hat der Schnee sämtliche Spuren verdeckt. Selbstverständlich haben Marlene und
ich für nachmittags und abends ein bombensicheres Alibi. Dafür ist bereits
gesorgt.«
»Und der Porsche in der Garage?«
»Kann bleiben, wo er ist. Wer fährt bei diesem Wetter auch schon mit
einem Porsche durch die Gegend? Mein Chauffeur hat Marlene heute Nachmittag
hier abgeholt. Er, meine Wirtschafterin und ich werden das bezeugen.«
Jacobi spielte sein letztes Atout aus. »Aber das hat
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