Herbstfrost
Dass du ihn nie mit Grabowsky
hast reden lassen, hat ihn bei allem Jagdeifer doch misstrauisch gemacht.«
Sie starrte niedergeschlagen vor sich hin.
»Wie er letztlich hinter dein Geheimnis gekommen ist«, fuhr Jacobi
fort, »werden wir wohl nicht mehr erfahren. Möglicherweise hat er Grabowsky
ohne dein Wissen kontaktiert. Außerdem hat Behrens ihn an eure Patientendatei
rangelassen, womit du nicht gerechnet hast. Da wird er auf den Namen deines
Partners gestoßen sein. Ganz sicher aber hat er dich hier oben in deiner
Eremitage überwachen lassen.«
»Ich habe nie jemanden gesehen«, sagte Jutta halb trotzig, halb
resigniert.
»Einen Eingeborenen der Hohen Tauern siehst du nur dann, wenn er
gesehen werden will. Schremmer stammte aus dieser Gegend. Er brauchte nur einen
Forstarbeiter, Senn oder Hüterjungen beauftragen, dich im Auge zu behalten. Zum
Beispiel wusste er darüber Bescheid, dass ich hier oben war. Hast du es ihm
gesagt?«
»Nein.«
»Na also. Gut möglich, dass ihm auch der Besuch des Mercedes-G-Fahrers
zugetragen wurde. Anhand des Kfz-Kennzeichens wäre es für ihn ein Leichtes
gewesen, den Fahrzeughalter zu eruieren. Er muss Simba jedenfalls zu nahe
gekommen sein, und deshalb hat der ihn als Opfer ausgewählt, um auf die Sökos
aufmerksam zu machen. Als die Sökos-Killer dann von uns abgefangen wurden,
glaubte Simba, Schremmer würde entgegen seinen Prinzipien mit uns
zusammenarbeiten. Das hätte gleichen Informationsstand bedeutet. Ein wirklicher
Schock für ihn! Der übereilte Versuch, nun auch mich zu beseitigen, beweist
meine Theorie. Der Plastiksprengstoff muss unmittelbar nach dem missglückten
Anschlag auf Schremmer unter meinem Bett deponiert worden sein. Aber wie wir
beide wissen, hatte es mich just in jener Nacht zu dir gezogen. Mein Bett
verabschiedete sich also ohne mich von seiner irdischen Bestimmung. Zwei von
drei Mordversuchen waren missglückt. Simba muss ein paar sehr schlimme Stunden
durchlebt haben. Erst im Morgengrauen konnte er aufatmen, denn während ich
schlief, hast du ihn angerufen und ihm mitgeteilt, wie wenig ich wusste.«
»Es stimmt, dass ich angerufen habe. Alles andere ist Unsinn. Du
hast zu viel Phantasie. Ein Bulle sollte sich an Tatsachen orientieren.«
»Diesen Rat hat man mir schon öfter gegeben.«
»Dann beherzige ihn endlich. Die Anschläge auf dich und Schremmer
sind von Sökos verübt worden, das weiß ich definitiv. Auch der Mord an
Grabowsky war ihr Werk.«
Jutta schien ihre Fassung zurückgewonnen zu haben, aber in ihren
Augen stand noch immer die Angst.
Jacobi fasste sie am Handgelenk. »Jetzt geb ich dir mal einen guten Rat: Pack aus und erzähl mir, wie weit du in die Sache
verstrickt bist. Ich kann mir gut vorstellen, dass Simba dir nicht alles gesagt
hat, sondern nur, was für deine Rolle wichtig war. Auch die Geschworenen werden
das so sehen. Wer hatte übrigens die Idee zum Treffen im ›Drop in‹? Er oder
du?«
»Das war ich. War wohl auch nicht so gut.«
»Stimmt. Anfangs hat mich der blonde Typ irritiert, der Behrens
aufgesucht und nach dir gefragt hatte. Ich kam nicht auf die Idee, dass er und
der Blonde aus dem ›Drop in‹ zwei verschiedene Personen sein könnten. Doch
Simba hat einfach einen Söko, der ihm ähnlich sah, beauftragt, sich bei Behrens
nach dir zu erkundigen. Aber als ich der Pächterin vom ›Drop in‹ sein Foto
zeigte, erkannte sie ihn sofort wieder. Zwei so schöne Menschen fallen eben
auf. Profis hätten einen Friedhof um Mitternacht als Treffpunkt gewählt. Keine
möglichen Zeugen, keine Komplikationen.
Auch Schremmer hat natürlich gecheckt, mit wem du dich in der Disco
getroffen hast. Hätte er sich uns anvertraut, wären beide Fälle – Sökos und Simba – bereits abgeschlossen, und er würde noch leben.
Ebenso wie Grabowsky, Rottenstein und Gudrun Sorge. So aber wurde der toughe
Kurt das Opfer seiner eigenen pathologischen Geheimniskrämerei. Und Simbas
drittes Opfer. Allein Rottenstein geht auf Sorges Konto. Du, meine liebe Jutta,
wärst das vierte Opfer gewesen. Zum Glück war ich diesmal schneller.« Er sah
zum Fenster hinaus. »Ich glaube nicht, dass er heute noch kommt.«
»Was faselst du immer von Simba! Wir sind doch hier nicht im Zoo!
Wenn du seinen richtigen Namen kennst, dann sag ihn endlich! Sprich ihn aus!«
Aber so cool, wie sie sich gab, war sie keineswegs. Ihre Hände
umkrallten das Schnapsglas. Es sah aus, als wollte sie sich daran festhalten.
Jacobi ließ sich nicht länger bitten.
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