Herbstfrost
circa hundertfünfzig Metern abgefeuert
worden. Der Wagen des Meuchlers hatte in einer unbeleuchteten Seitengasse
gestanden, die am Parkplatz vorbeiführte, das Wagendach hatte vermutlich als
seine Auflage gedient. Am Asphalt war jede Menge Gummiabrieb vorhanden,
verursacht durch den Kavaliersstart des erfolglosen Schützen.
Jacobi erlebte das kriminalistische Procedere wie in Trance und
stieg nach seiner Aussage in seinen Wagen. Feuersang hätte gern angeboten, ihn
nach Hause zu fahren, aber der tief wurzelnde Respekt vor dem Chef hielt ihn
davon ab.
***
Ganz gegen seinen gewohnten Fahrstil ließ Jacobi den Quattro
über die Aigner Bundesstraße dahinschleichen. Er rechnete ständig damit, stehen
bleiben, rausspringen und kotzen zu müssen. Das hier war etwas anderes gewesen
als der Anschlag in seiner Wohnung. Auch dem war er nur durch Zufall entgangen,
aber er hatte ihn nicht hautnah erleben müssen wie dieses Schussattentat. Jetzt
konnte er es Schremmer nachfühlen, wie es einem an die Nieren ging, wenn der
Tod nur um die sprichwörtliche Haaresbreite danebengriff.
Schremmer! Der Gedanke durchzuckte ihn wie ein Stromschlag. Hatten
die Sökos auch bei ihm versucht nachzubessern?
Er rief Redl an. »Lenz? Irgendwas Ungewöhnliches bei Schremmer?«
»Wie man’s nimmt, Oskar: Während er mit Ruth Maybaum im
›Österreichischen Hof‹ essen war, hat man bei ihm eingebrochen. Scheint aber
nichts zu fehlen. Und ehe du’s von Hans erfährst, sag ich’s dir lieber gleich:
Ich beschatte Schremmer jetzt nicht mehr nur, wie es ausgemacht war, sondern
geb ihm Personenschutz. Der ist wesentlich effizienter umzusetzen. Schremmer
ist da durchaus meiner Meinung.«
»Wär auch grob undankbar, wenn nicht! Schließlich hast du ihm das
Leben gerettet. Selbstverständlich bin ich mit deiner Entscheidung
einverstanden.«
»Ich bin jetzt bei ihm in der Wohnung«, sagte Redl, Jacobis Placet
kommentarlos zur Kenntnis nehmend. »Wir sind dabei, sie zur Festung auszubauen.
Offiziell hab ich ein paar Tage Urlaub.« Nach einer kurzen Gesprächspause
fragte er: »Hat es bei dir was gegeben, Oskar?«
Redl verfügte über den Instinkt des uralten Taurisker Bergvolks. Er
roch förmlich die Gefahr. Jacobi schwieg. Er hatte einen Kloß in der Kehle und
schämte sich dafür. In seiner Generation galt es nach wie vor als unmännlich,
Emotionen zu zeigen.
»Ein zweiter Anschlag?«, fragte Redl ahnungsvoll.
Jacobi riss sich zusammen. »Ja, gerade eben vor dem ›Drop in‹«,
sagte er heiser und erzählte dann im Telegrammstil, was vorgefallen war.
»Du stehst doch noch unter Schock und dürftest eigentlich gar nicht
fahren«, sagte Redl ermahnend. »Hast du die Spusi benachrichtigt?«
»Das hab ich gerade noch hinbekommen«, antwortete Jacobi und musste
lachen. Auch Redl lachte erleichtert. Die Relationen waren wiederhergestellt.
Der Chef war wieder der Alte, hatte alles unter Kontrolle.
»Weißt du was?«, sagte Jacobi nun wesentlich entspannter. »Ich hab
die Schnauze voll. Daheim mach ich mir erstmal einen Drink und ruf dann den GÖS an.«
NEUN
Am nächsten Nachmittag fuhr Jacobi zum ehemaligen »Hotel
Europe«. Der Renommierbau aus der Nachkriegszeit war vor Jahren zum feudalen
Wohnhaus umgebaut worden. Vogt besaß dort eine Dachwohnung, eine Maisonette,
die – auf gut Österreichisch – alle Stückerln spielte. Jacobi parkte den
Quattro in einer Seitengasse der Rainerstraße und fuhr mit dem Lift in den
obersten Stock. Um Punkt sechzehn Uhr läutete er an Vogts Wohnungstür. Sein
ehemaliger Vorgesetzter öffnete.
»Hatten wir nicht siebzehn Uhr ausgemacht?«, fragte er den
eintretenden Jacobi.
»Hatten wir, ja. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich früher
gekommen bin?«
»Das wird sich noch herausstellen. Du bist also nach wie vor
überzeugt, dass die AIC in die
Sökos-Machenschaften verwickelt ist?«
»Bin ich, ja. Daran führt kein Weg vorbei.«
»Also willst du mich verhören?«
»Ich will dich nicht verhören«, wehrte Jacobi ab, »lediglich ein
paar Auskünfte einholen.«
Vogt lächelte gequält. »Spar dir die rhetorische Kosmetik. Natürlich
verdächtigst du mich. Wenn nicht, würdest du mir, deinem Lehrer, ein schlechtes
Zeugnis ausstellen. Komm, wir gehen auf die Terrasse. Heute ist es besonders
mild.«
Jacobi war mit seinem eigenen Heim mehr als zufrieden, aber Vogts
doppelgeschossige Dachwohnung mit ihren beeindruckenden Zimmerfluchten übertraf
fast alles, was er bis dahin an bürgerlicher
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