Herbstgeflüster (Die Kanada-Reihe)
dritter Generation führte, und sich die anfallende Arbeit mittlerweile mit ihren Söhnen teilte. Außerdem hatte sie ihn gleich in der ersten Woche, nachdem er hergezogen war, vor einer Schlägerei mit zwei homophoben Trinkern bewahrt. Carols Wort hatte in dieser Straße viel Gewicht, und wenn sie sagte, dass es in Ordnung war, dass Bomer auf Männer stand, dann war es das auch. Seither hatte er Ruhe, sowohl vor weiblichen Annäherungsversuchen als auch vor den beiden stänkernden Säufern, die zu allem Übel regelmäßige Kunden bei ihr im Diner waren.
„Nanu?“, fragte Carol erstaunt und laut, als er durch die Tür trat, und lenkte damit natürlich sofort sämtliche Aufmerksamkeit auf ihn. Das war der einzige Nachteil an dieser Frau, ihre Lautstärke. „Willkommen, Fremder. Du hast dich ja schon ewig nicht mehr blicken lassen. Ist dir dein Haus unterm Hintern weggebrannt, oder was?“
„Kann man hier ein Frühstück kriegen, ohne dass es in weniger als zehn Minuten die ganze Stadt weiß?“
„Nein. Zumindest nicht, wenn man zwei Meter groß ist und so gut aussieht wie du.“ Carol grinste ihn an. „Du weißt, wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre und du nicht auf Jungs stehen würdest ...“
„Wärst du immer noch zehn Jahre zu alt.“
Carol brach in schallendes Gelächter aus. „Rotznasig, wie üblich. Na los! … Setz' dich her zu mir, bevor ich dich übers Knie lege, weil du keine Manieren hast.“
Bomer setzte sich zu ihr an die Theke und sparte sich, eine Bestellung aufzugeben. Carol würde ihm das vor die Nase stellen, was sie für richtig hielt, und Bomer hatte in den letzten Monaten die Erfahrung gemacht, dass Carols Essen immer schmeckte. Er war kein regelmäßiger Gast im Diner, im Gegenteil. Aber jedes Mal, wenn er vor der Frage stand, wo er etwas essen sollte, das er nicht selbst gekocht hatte, kehrte er hierher zurück. Und zwar nicht nur wegen der guten Speisekarte.
Ein Teller mit Rühreiern, zwei Sandwichs und Speck, dazu ein Becher Kaffee, wurden vor ihm abgestellt. Er nahm wortlos die Gabel und begann zu essen.
„Du warst schon immer maulfaul, aber das toppt echt alles.“
Bomer schnaubte nur.
„Was ist los, Bursche? Einen schlechten Wochenstart gehabt?“
„Nenn' mich nicht Bursche.“
„Ah, er spricht“, stichelte Carol auf ihm herum, bevor sie einem anderen Gast Kaffee nachschenkte, was Bomer einen Moment Ruhe einbrachte. „Wieso kommst du her, wenn du nicht reden willst? Und sag' jetzt nicht, weil du meine Gesellschaft schätzt, dann werde ich böse.“
„Ich wollte nicht nach Hause“, gab Bomer maulig zu.
„Warum?“
„Schlecht geschlafen.“
„Hm“, machte Carol leise, was alles und nichts heißen konnte. „Wie geht’s dem Welpen?“, fragte sie schließlich, was Bomer automatisch grinsen ließ.
„Stolpert ständig über seine eigenen Pfoten.“
Carol lachte. „Das wird werden, wenn er groß ist. Wie hast du ihn eigentlich genannt?“
Bomer sah verdutzt auf. „Hat Max dir das noch nicht erzählt?“
„Doch.“ Carol schmunzelte. „Aber irgendwie musste ich dich ja dazu bringen, dass du mich mal anguckst. Mit diesen dunkelgrünen Augen und deinen engelsblonden Haaren kannst du Herzen brechen, mein Lieber, aber ich habe so ein merkwürdiges Gefühl, dass es deines ist, was im Moment einen Riss hat.“
„Hat es nicht“, murrte Bomer und senkte den Blick, um weiter zu essen.
„Wie heißt er?“
„Wer?“
„Der Mann, der dir den Kopf verdreht hat?“
„Niemand hat mir ...“
Bomer brach ab und erstarrte. War das der Grund, warum er immer wieder zögerte, die Hand an den Typen zu legen und ihm die Antworten mit bloßer Gewalt zu entlocken? Hatte Carol etwa recht? Hatte er sich in einen Mann verliebt, der alles dafür tun würde, ihm den Kopf abzuschneiden und auf einen Pfahl zu spießen?
„Oh je, du wusstest es nicht?“
„Scheiße“, flüsterte Bomer und ließ die Gabel auf den Teller sinken. Ihm war der Appetit vergangen. „Auch das noch.“
„Na, na, na … so schlimm ist es nicht, verliebt zu sein. Selbst für einen harten Kerl, wie du einer bist.“
„Du hast keine Ahnung, wovon du da redest, Carol.“
„Wie soll ich auch? Du schweigst oder brummelst vor dich hin. Eine Frau kann viele Stimmungen in Männern erkennen, aber Gedanken lesen kann sie nicht. Als du in mein Diner kamst, das erste Mal, meine ich, da war mir sofort klar, dass du ein anständiger Kerl bist. Einer mit Rückgrat und Herz. Vielleicht warst du das nicht
Weitere Kostenlose Bücher