Herbstgeflüster (Die Kanada-Reihe)
immer, aber heute schon.“ Carol strich ihm über die Wange und lachte liebevoll, als er instinktiv zusammenzuckte. „Ich bin kein Mann, ich weiß, aber ich habe dich sehr gern. Du bist hier immer Willkommen. Ob allein oder an der Seite des Mannes, in den du so heftig verliebt bist, dass es für mich als Außenstehende fast schon amüsant ist. Den Wald vor lauter Bäumen nicht erkennen, sagt dir das etwas?“ Sie stellte ihm eine Tüte vor die Nase. „Und jetzt hau' ab und erledige deinen Job. Dein miesepetriges Gesicht vergrault mir die Kunden.“
Bomer bezahlte und verließ grußlos das Diner. Er sah offensichtlich so finster drein, dass ihn eine Gruppe von Bauarbeitern, die seinen Weg zum Wagen kreuzten, mit misstrauischem Blick weiträumig umrundete. Wirkte er auf seinen Gast auch so abweisend und gefährlich, fragte sich Bomer, und stieg in seinen schwarzen Range Rover, wo er die Tüte von Carol auf den Beifahrersitz stellte. Er hatte so eine Ahnung, was sich darin befand, trotzdem dauerte es eine Weile, bis er den Mut fand nachzusehen.
„Verflixte Hölle!“, schimpfte er und rollte das obere Ende der Tüte zusammen, um die Schokomuffins nicht länger ansehen zu müssen. Es waren zwei. Für ihn und seinen angeblichen Freund, der keiner war. Er schnaubte verärgert, schnappte sich die Tüte und stieg wieder aus dem Auto, um die Muffins im nächsten Mülleimer am Straßenrand zu entsorgen. So weit kam es noch, dass er einem verhinderten Attentäter ein Geschenk mitbrachte.
Bomer war sich durchaus bewusst, dass die Chancen eines erneuten Fluchtversuchs bei seinem unfreiwilligen Gast stiegen, je länger er sich von seinem Haus fernhielt. Dennoch schaute er mittags nur kurz vorbei, um einen Blick auf Emma und Charly zu werfen, und verschwand wieder, nachdem er aus dem oberen Stockwerk ein leises Husten vernommen hatte.
Vielleicht hatte sich der Kerl durch die paar Stunden im Schuppen einen Schnupfen geholt. Das schadete ihm gar nichts. Außerdem es war eine gerechte Strafe für die Nerven, die er ihn seit dem Wochenende kostete. Bomer schob sein aufkommendes, schlechtes Gewissen beiseite, weil er den Mann nicht mal gefragt hatte, ob er vielleicht aufs Klo musste, während er tiefer in den Wald ging.
Mit den letzten Sonnenstrahlen im Rücken machte er sich am Abend auf den Heimweg. Diesmal galt Bomers erster Blick dem Gefangenen, der kaum sichtbar unter der Decke lag und schon wieder oder immer noch schlief. Er ließ ihn liegen, ging duschen und nahm sich etwas zu essen. Dabei fiel ihm der Teller ein, den er am Morgen oben stehen gelassen hatte. Er war unberührt. Aber vom Wasser hatte der Sturkopf getrunken, wenn auch wenig.
Bomer stand eine Weile neben ihm und überlegte, ob er ihn nicht doch aufwecken und ein paar Worte mit ihm wechseln sollte. Nur welche? Am Ende ließ er es bleiben und ging schlafen.
Ein stetiges Klappern weckte Bomer tief in der Nacht. Er blieb ganz ruhig liegen, orientierte sich erst mal und erkannte dann irritiert, dass das leise Klappern von der Heizung kam. Umgehend auf der Hut, lauschte Bomer, konnte sich aber keinen Reim auf das Geräusch machen, denn es klang nicht, als versuche sein Gast gerade einen Ausbruch.
Bomer setzte sich lautlos auf. Mittlerweile hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt und die viertel volle Sichel des Mondes bot gerade noch genug Licht, um auf dem Boden zu erkennen, dass der Mann immer noch an der üblichen Stelle lag. Allerdings war er nicht in die Decke gewickelt und schlief, sondern hatte sich auf dem Rücken gedreht, die Bettdecke zur Seite geschoben und zitterte am ganzen Körper.
Was, zur Hölle …?
Bomer schaltete seine Nachttischlampe ein und erhob sich. Das war kein Trick, erkannte er, denn der frische Schweiß auf der Haut des Mannes war echt, genauso wie sein rasselnder Atem. Er ging zu ihm hinüber und legte eine Hand auf die feuchte Stirn, um sie im gleich darauf erschrocken wegzureißen. Der Kerl glühte.
„Scheiße!“, fluchte Bomer und eilte zurück zum Bett, um den Schlüssel für die Handschellen zu holen. Vorhin hatte er doch nur gehustet. Wo kam denn auf einmal das hohe Fieber her?
Er verfrachtete seinen Gefangenen ins Bett und stand danach erst mal ratlos vor Selbigem. Was jetzt? Er hatte keine Ahnung, was man mit Kranken machte. Dafür gab es Ärzte. Bomer konnte Schnitt- und Stichwunden ohne Probleme behandeln. Er hätte auch eine Kugel entfernen und gebrochene Knochen richten können, aber bei
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