Herbstgeflüster (Die Kanada-Reihe)
konnte. Bomer nutzte die sich bietende Gelegenheit, um ihm wieder etwas Tee einzuflößen.
Die Thermoskanne, die er in der Nacht gekocht hatte, war fast leer, auch wenn wohl etwa ein Drittel in seinem Bettlaken und dem Kopfkissen versickert war. Er würde es später frisch beziehen.
„Hörst du mich?“
Sein Gegenüber runzelte die Stirn, schaffte dann aber ein Blinzeln. Bomer war zufrieden und beugte sich über ihn, um seine Temperatur zu fühlen. Sie schien ein wenig gesunken, jedenfalls kam es ihm so vor.
„Kannst du mir sagen, wie es dir geht?“
Bomer grinste, als die Antwort ein sichtlich genervter Blick war, bevor sich die grauen Augen schlossen. Kurz darauf war der Typ eingeschlafen. Eine gute Gelegenheit, um ihn zu waschen, in saubere Kleidung zu stecken und für eine Weile auf den Fußboden neben die hochgedrehte Heizung zu legen, damit er sein Bett beziehen konnte.
Er bereitete alles vor, bevor er die Decken wegräumte und sich daran machte, den Mann auszuziehen. Er war völlig durchgeschwitzt, sodass Bomer einige Mühe hatte, ihn aus dem Pullover und der Hose zu bekommen. Sogar die Socken klebten an den Füßen fest, aber Bomer hatte Erfahrung darin, nasse Sachen vom Körper zu kriegen, und am Ende lag sein Gegenüber in einer knielangen Shorts vor ihm. Trug man die nicht am Strand? Wer zog denn so was als Unterwäsche an? Egal, sie musste weg.
Bomer machte sich ans Werk. Obwohl er es nicht tun wollte, konnte er nicht anders, als seinen Gast auch jetzt genau in Augenschein zu nehmen. So wie er es schon mit dem Rest von dessen Körper getan hatte, und was er sah, gefiel ihm außerordentlich. Weit mehr, als es das sollte. Bomer spürte, wie er hart wurde, und ärgerte sich sofort darüber, weil dafür im Moment nun wirklich kein guter Zeitpunkt war.
Die erste Narbe entdeckte er knapp einen Zentimeter unterhalb des Übergangs vom Oberschenkel zur Leiste. Zuerst wunderte er sich nur über die runde Form, bis er die zweite und dritte Narbe freilegte. Und diesen ersten Narben folgten unzählige weitere. Beide Beine waren mit verschiedensten Verletzungen übersät. Am schlimmsten hatte es die Innenseiten der Oberschenkel getroffen. Wer immer dabei zu Werke gegangen war, er hatte gewusst, was er tat.
Je näher die Narben dem Intimbereich kamen, umso zahlreicher wurden sie. Und Bomer wusste ganz genau, wie die kleinen, runden Verletzungen entstanden waren. Brennende Zigaretten. Dazu gab es Schnittwunden, die aussahen, als hätten Rasierklingen oder eine sehr scharfe Klinge sie verursacht. Ein Skalpell vielleicht. Ihm fielen aus dem Stand eine Menge Schnittwerkzeuge ein, die so eine Art Narbe verursachen konnten.
Merkwürdig nur, dass auf der Brust nichts zu sehen war. Er sah sich den restlichen Körper näher an. Nichts. Was ihn irritierte und ihm zugleich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend bescherte. Irgendetwas entging ihm gerade, nur was? Bomer atmete tief durch, weil ihm im nächsten Moment einfiel, dass er sich den Rücken nicht angesehen hatte. Die einzige Körperstelle, die noch übrig war, und irgendwie ahnte er, welcher Anblick ihn dort erwartete. Bomer drehte seinen Gast behutsam auf die Seite und verzog gequält das Gesicht, denn die Realität übertraf seine Vorstellung um Längen.
„Verdammt!“, fluchte er fassungslos und brachte ihn wieder in die Rückenlage.
Darum hatte er so abgeklärt auf seine Androhung von Folter reagiert. Dieser Mistkerl wusste wirklich Bescheid. Die länglichen Narben auf seinem Rücken, von Messern, Peitschen und nur Gott wusste was noch alles, sprachen eine mehr als eindeutige Sprache. Wer hatte den Mann gefoltert und warum? Bomer ballte vor Wut seine Hände zu Fäusten.
-7-
Adrians Anruf kam am nächsten Abend, da hatte sich Bomer weit genug beruhigt, um nicht allein schon vom Gedanken an die vielen Narben die Nerven zu verlieren. Außerdem war das Fieber in den letzten Stunden so weit gesunken, dass er auf neue Wadenwickel verzichtet hatte und jetzt darauf wartete, dass sein Gast aufwachte.
Es war gar nicht so einfach gewesen, Max um ein paar freie Tage zu bitten, ohne die Wahrheit zu sagen, aber er hatte sich nicht getraut, den Kranken tagsüber für einige Zeit allein zu lassen. Am Ende hatte sein Boss trotz einer unübersehbaren Neugierde den Urlaub genehmigt. Sein offiziell angegebener Grund, 'Private Probleme', dürfte zu jeder Menge Gerüchte auf der Arbeit und bei Carol führen, da Max und seine Kollegen Stammkunden bei
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