Herbstgeflüster (Die Kanada-Reihe)
„Leg' dich hin oder geh' nach unten, aber hör' auf, mit diesem hilflosen Gesichtsausdruck neben meinem Bett zu stehen. Morgen ist noch genug Zeit zum Reden.“
„Ich bin nicht hilflos.“
„Dann eben verunsichert.“
„Du ...“
„Morgan!“ Bomer schlug die zweite Bettdecke auf und sah Cedric auffordernd an. „Wir sind beide müde, du bist immer noch angeschlagen. Also komm' ins Bett oder geh' runter, aber triff endlich eine Entscheidung. Alles andere kann warten.“
Cedrics stiller Kampf war deutlich in seinem Gesicht erkennbar, und Bomer atmete innerlich erleichtert auf, als der sich wenig später neben ihn legte und die Decke hochzog. Er schmunzelte, weil Cedric ihm den Rücken zudrehte, was so stark nach Absicht und gleichzeitiger Nervosität roch, dass er im Normalfall mit Sicherheit darüber gelacht hätte. Aber heute verkniff er sich jeden Kommentar dazu und schaltete das Licht aus.
Der nächste Tag würde früh genug auf sie zukommen und damit das Gespräch, das sie führen mussten, wenn sie so etwas wie eine Zukunft haben wollten. Wie immer die ab morgen auch aussah.
Bomer schlief nicht viel in dieser Nacht. Er schreckte regelmäßig auf, wenn Cedric sich bewegte, und kam sich nach dem dritten Mal langsam dämlich vor, da der Mann neben ihm wirklich schlief, sich dabei nur leider unruhig im Bett hin und her drehte. Doch er konnte seine über die Jahre antrainierten Instinkte nicht abschalten, und Cedric war nun mal erst mit dem Messer und dann mit einem Kaminhaken auf ihn losgegangen.
Irgendwann gab Bomer auf und drehte sich behutsam auf die Seite, sodass er Cedric ansehen konnte. Durch die dicken Wolken am Himmel war es zu dunkel, Details zu erkennen, allerdings brauchte er ohnehin kein Licht, um sich an das kleine Grübchen im Kinn, den Bartschatten und die ein Stück nach links gebogene Nase zu erinnern. Er hatte den Schwung von Cedrics Kinn ganz genau vor Augen, kannte die Beschaffenheit der mittlerweile mit Schorf bedeckten Stichwunde in dessen Schulter ebenso, wie die Lage der beiden störrischen Augenbrauen, die in verschiedene Richtungen wuchsen.
Bomer hätte ohne hinzusehen auf die kaum sichtbare Narbe, ein paar Zentimeter rechts über Cedrics schmaler Oberlippe deuten können. Es war keine Narbe wie jene an seinen Beinen und auf dem Rücken. Vielleicht war er als Kind hingefallen. Er wusste um die Verspannungen in Cedrics Schultern und er kannte die genaue Lage der drei Leberflecke auf dessen Oberkörper. Einer lag links vom Bauchnabel, einer unterhalb der linken Brustwarze und der Dritte rechts, in Höhe der letzten Rippe.
Doch am meisten faszinierte Bomer die schmale Linie dunkler Haare, die zu Cedrics Intimbereich führten, und die so weich waren, dass er am liebsten ständig mit den Fingern durch sie gestrichen hätte. Aber seit Cedric kein Fieber mehr hatte, ließ er sicherheitshalber die Hände von ihm. Er konnte sich die Reaktion lebhaft vorstellen, falls Cedric ihn erwischte, wie er ihn heimlich berührte. Nur weil der auf Männer stand, bedeutete das noch lange nicht, dass er sich gleich mit ihm im Bett wälzte.
Bomer hätte zwar an sich nichts dagegen gehabt, aber er war kein Fantast. Cedric war als Junge und Teenager missbraucht worden. Wer konnte da schon sagen, ob er jetzt als Erwachsener überhaupt ein Sexleben hatte oder wie Selbiges aussah?
„Du siehst mich an, als wäre ich ein Kuchenstück mit Sahne für dich.“
Bomer fuhr überrascht zusammen. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass Cedric nicht mehr schlief. Das war ihm zuvor noch nie passiert. Jedenfalls nicht, seit er bei den Seals gelernt hatte, wie man den Standort und Zustand von Menschen mithilfe ihres Atemrhythmus herausfand.
„Es ist zu dunkel. Du kannst nicht erkennen, wie ich dich ansehe.“
„Das muss ich auch nicht. Es reicht, dass ich es fühlen kann. Du bist hart, Evan.“
Bomer stockte der Atem, als er spürte, dass es wahr war. Im nächsten Augenblick wich er hektisch von Cedric zurück und fiel dabei beinahe aus dem Bett. Verdammte Scheiße.
„Solange du mich nicht anfasst, ist es okay“, wiegelte Cedric ab und drehte sich auf den Rücken. „An Sex habe ich keinen Bedarf.“
„Allgemein oder nur mit mir?“, fragte Bomer und biss sich gleich darauf auf die Lippe. War er völlig verrückt geworden, so etwas zu fragen? „Vergiss die Frage.“
„Warum sollte ich?“ Cedric wandte sich von ihm ab. „Ich kann's gut verstehen, immerhin waren meine Blicke nicht sehr unauffällig
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