Herbstgeflüster (Die Kanada-Reihe)
ging nach nebenan. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass er angestarrt wurde, und zwar mit offenem Mund.
„Was ist?“, fragte Bomer irritiert.
„Geiles Tattoo“, bekam er murmelnd zur Antwort und grinste belustigt, als sein Gegenüber nach seinen Worten rot anlief.
„Findest du?“ Bomer drehte sich in Richtung Spiegel, wohl wissend, dass er dem Mann damit einen perfekten Ausblick gewährte. „Hat eine Ewigkeit gedauert, bis das Ding fertig war.“
„Hm“, machte sein geheimnisvoller Fremder nur und klang auf einmal verlegen.
Bomer lachte in sich hinein und verschwand amüsiert aus dem Schlafzimmer, um Emma und Charly zu füttern, und sich nebenbei um sein eigenes Essen zu kümmern.
So, so, Mister Namenlos gefiel also sein Tattoo. Wenn das nicht hochinteressant war. Bomer kramte eine Pfanne aus dem Schrank und stellte sie auf den Herd. Es war nicht das erste Mal, dass er wegen des Drachens auf seinem Rücken bewundert wurde, allerdings hatte er nie erwartet, dass sein verhinderter Meuchelmörder auch zu der Sorte Mann gehörte, die auf Tattoos abfuhren. Schon gar nicht auf solche großen. Sein farbiger Drache begann auf der rechten Seite in Hüfthöhe und zog sich über den ganzen Rücken. Das Stechen hatte Monate gedauert und die Schmerzen an einigen Stellen waren damals nicht zu verachten gewesen. Doch das Ergebnis war es wert.
Es dauerte nicht lange und der Geruch des Fleisches zog durch sein Haus. Emma und Charly bettelten, bis er ihnen ein paar Stücke Fleisch überließ, bevor er mit dem Tablett, auf dem der Teller mit dem Steak, Pommes und Bohnen stand, nach oben ging. Dazu gab es ein Bier und als Nachtisch frischen Joghurt, den er aus der Packung in eine Kompottschüssel gefüllt und mit Ananasstücken aus der Dose garniert hatte. Das war ein Aufwand, den er normalerweise niemals betrieben hätte, aber für seinen durstigen, hungrigen Gast würde es hoffentlich reichen, um ihn zu quälen und möglicherweise, im Austausch für Wasser und Essen, einige Antworten zu entlocken.
„Das wird nicht funktionieren“, erklärte der Kerl, als Bomer es sich auf seinem Bett bequem gemacht hatte.
„Früher oder später wird es das tun“, konterte Bomer und nahm sich ein paar Pommes. „Mhm, lecker.“
„Arschloch“, grollte es von der Heizung her, aber ihm entging das minimale Grinsen nicht, das ihn, auch wenn es seinen Plan torpedierte, amüsierte.
Bomer konnte sich nicht erklären, warum. Eigentlich sollte er sauer sein. Mehr als das sogar. Immerhin hatte er dank dieses Typen auf dem Fußboden ein Loch in der Hand. Die Wunde störte ihn zwar nicht sonderlich, aber sie war da. Für einen Seal eine Schmach. Selbst, wenn er seit Jahren außer Dienst war. Das änderte nur nichts an der Tatsache, dass er seinem Gefangenen im Augenblick nicht böse war.
„Versuch' es mit Verdursten. Das geht schneller.“
„Tot nützt du mir nichts.“
„Stimmt, du willst ja Antworten. Hatte ich vor lauter Hunger schon vergessen.“
Bomer grinste und spießte ein Stück Steak auf seine Gabel. „Willst du?“
„Dir die Gabel ins Herz stechen? Oh ja.“
„Immer diese leeren Versprechungen.“ Bomer aß das Fleisch mit Genuss und verkniff sich ein Lachen, als der Magen seines Gegenübers hörbar knurrte, woraufhin der den Blick abwandte. „Ich habe den Pick-up gefunden“, sagte er übergangslos. „Und die Beutel, die du vergraben hast.“ Bomer war sich der Aufmerksamkeit des Mannes bewusst, obwohl der weiter die Wand neben dem Spiegel anstarrte. „Keine Sprengfallen, keine Minen. Ich war ein bisschen enttäuscht.“
„Beim nächsten Mal werde ich daran denken“, murrte sein störrischer Gast und funkelte ihn wütend an. „Wenn du nicht vorhast, mich einfach kaltzumachen, stell' dich besser darauf ein, dass ich sehr lange hierbleibe. Von mir erfährst du kein Wort.“
Bomer nickte, denn er hatte nichts anderes erwartet. „Durchhalten bis zum letzten Atemzug, das hat man dir nicht beigebracht, auch wenn du gerade so tust, als ob es so wäre. Was das angeht, bin ich dir weit voraus.“
„Du bist kein Parkranger.“
„Oh doch, das bin ich“, widersprach Bomer und stand auf. Er nahm sich das Bier vom Tablett und stellte das restliche Essen auf den Fußboden, in Reichweite seines Angreifers, der ihn daraufhin irritiert anstarrte. Er blieb vor ihm in der Hocke. „Du hast recht, Durst funktioniert schneller, und da du vorhast fürs Erste bei mir zu leben, solltest du die Gelegenheit nutzen, denn
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