Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
wenn ich meine eigene Werkstatt eröffne.«
»Klingt
vernünftig«, sagt Vicki. »Darauf trinken wir.«
»Ja, aber
…«
»Was denn
nun noch?«
»Und wenn
… wenn ich es nicht gut mache? So viel Geld macht mir Druck, weißt du? Was, wenn
wieder eine Naht platzt, wenn es der Kundin nicht gefällt, wenn es bescheuert aussieht,
wenn es …«
»Stopp!«,
ruft Vicki dazwischen. »Ich weiß, was du meinst, aber du machst dir viel zu viele
Gedanken. Das Kleid sieht traumhaft aus. Es wird nichts aufreißen, wenn du gründlich
arbeitest. Und nun fang endlich an zu genießen, dass du eine total erfolgreiche
Schneiderin bist. Die ganze Grübelei, die bringt dir gar nichts – außer gruselige
Denkerfalten auf der Stirn.«
»Na, dann
Prost Mahlzeit«, sage ich lachend.
Okay. Fort
mit der Angst! Ich werde das Kleid nähen, wenn auch nicht ganz exakt nach meiner
Zeichnung. Den Federrock bekomme ich auf keinen Fall so schnell fertig. Stattdessen
werde ich glänzenden Seidentaft verwenden und, wenn es gewünscht wird, gern ein
oder zwei Lagen bauschigen Tüll darüberlegen. Das wird toll, aber nicht übertrieben
aussehen und die Aufmerksamkeit der Partygäste ist Frau Hofmann auf jeden Fall sicher.
»Danke,
Vicki, du hast mir sehr geholfen.«
Jetzt muss
ich beinahe über mich selbst und meine übertriebenen Befürchtungen lachen.
Von dem
berühmten Regisseur hat meine Freundin auch schon gehört. »Cooler Typ. Kann jede
Frau haben«, sagt sie, klimpert ihr Sektglas an meins und nimmt einen großen Schluck.
»Scheinbar
weiß er das genau«, antworte ich. »Jedenfalls steht es in der Bild.«
»Dann wird es ja wohl …« Vicki wird plötzlich ganz blass,
legt die Hände an ihren Hals und schnappt nach Luft.
»Was hast
du denn?«, frage ich erschrocken.
»Irgendwas
stimmt nicht mit dem Erdbeerkuchen«, japst Vicki. »Mir ist total schlecht auf einmal.
Ich muss mich einen Moment hinlegen.«
Ich bringe
sie in ihr Zimmer. Sie lässt sich auf ihr Bett fallen und rollt sich zusammen wie
eine Katze. Ich lasse sie allein. In der Küche mustere ich misstrauisch unsere angebissenen
Kuchenstücke. Eigentlich sieht das Gebäck lecker und frisch aus. Ich habe im KaDeWe
ein halbes Vermögen für die zwei winzigen Stückchen ausgegeben. Sie können doch
wohl kaum verdorben sein! Ich vermute, es ist der Sekt, der Vicki nicht bekommen
ist. Die Ärmste! Dabei ist sie sonst ziemlich trinkfest.
Ich lasse
meinen Kuchen auf dem Teller liegen und verziehe mich in mein Zimmer, um zu lesen.
20. September
1912
Heute ist Friedrich nur eine
Stunde zum Tee geblieben. Eigentlich wollten wir gemeinsam zu unserem Haus in Groß-Lichterfelde
fahren. In ein paar Monaten schon soll es fertig sein. Ich war neugierig und voll
freudiger Erwartung. Endlich würde ich sehen, wie weit der Bau seit unserem letzten
Besuch fortgeschritten ist.
Jetzt bin
ich tief enttäuscht. Wie gern wäre ich bei dem wunderbaren Wetter ausgefahren. Die
Septembersonne strahlt vom blauen Himmel. Sie spürt, dass sie sich bald hinter Regen
und Wind verstecken muss, und will uns deshalb noch einmal zeigen, wie zauberhaft
sie ist. Bald wird Mutter mich wegen meiner stets angegriffenen Gesundheit kaum
mehr aus dem Haus lassen. Sie hat eine solche Angst, dass ich mich erkälten könnte.
So wie vor beinahe zwei Jahren, als ich nach einem Spaziergang eine Lungenentzündung
bekam und lange krank darnieder lag.
Es mag seltsam
anmuten, aber ich erinnere mich sehr gern an jene Tage. Gewiss, die Krankheit war
quälend. Doch was daraus erwuchs, war wunderschön.
Als ich
mich mit Mutter zur abschließenden Genesung in Bad Kissingen aufhielt, begegnete
ich meinem Friedrich. Meine Mutter und ich hatten seine Eltern, Wilhelm und Luise
von Oranienbaum, die ebenfalls dort kurten, bei einem abendlichen Violinkonzert
im Kurpark kennengelernt. Die beiden erwiesen sich als ausgesprochen angenehme Gesprächspartner.
Ich weiß nicht, was sie und meine Mutter besprochen haben, während ich mich verschiedensten
heilenden Behandlungen unterzog, aber schon bald war unentwegt die Rede davon, dass
ihr Sohn Friedrich und ich einander vorgestellt werden sollten. Schon ein paar Tage
später reiste er in Kissingen an. Es war wie ein Wunder und ich denke, die Vorsehung
wollte ganz gewiss, dass alles so geschah und wir uns dort begegneten, denn schon
sehr bald war es um ihn und mich geschehen und wir gestanden uns zärtliche Gefühle
füreinander ein. Seitdem bin ich das glücklichste Mädchen auf der
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