Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
Basti energisch. »Denn erstens wollte ich es dir sagen. Ich habe
hundert-, nein tausendmal daran gedacht. Aber du warst noch nicht so weit.«
»Ich war
nicht so weit?«, frage ich verblüfft. Vor Verwunderung vergesse ich glatt zu schreien.
»Was soll das denn bedeuten?«
Er holt
tief Luft. »Da ist nämlich noch ein bisschen mehr, was du wissen musst.«
»Was denn
noch?«, frage ich betreten und ziehe innerlich den Kopf ein.
Gleich gesteht
er dir, dass er verheiratet ist! Es ist aus, Rosa.
»Juli wird
demnächst zu mir ziehen«, sagt er mit fester Stimme. Nur seine Hände zittern ein
wenig. »Nadja, ihre Mutter, geht für ein Jahr nach Berkeley in Kalifornien, an die
Uni dort. Sie … sie ist Biologin, und sie hat ein Forschungsstipendium und ich,
wir … meine Eltern auch, wir haben ihr gut zugeredet. Es ist eine tolle Chance.
Ich habe ihr angeboten, dass Juli in dieser Zeit bei mir wohnen kann.«
Ich will
ruhig weiteratmen, doch es geht nicht. Gleich kippe ich ohnmächtig vom Stuhl – wegen
Sauerstoffmangels. Meinetwegen muss mich der Herr Doktor Sebastian Andrees gar nicht
wiederbeleben. Oder erst, wenn ich alles, was er mir eben gesagt hat, wieder vergessen
habe. Dann muss ich ihn nicht so blöd und völlig überrumpelt anstarren.
»Ich wollte
es längst mit dir bereden.« Bastis Stimme klingt brüchig. »Ich wollte dich einbeziehen,
denn du bist meine … Rosa, ich liebe dich.«
»Und warum
hast du es nicht getan?«
Er schaut
mich fest an. Gleich werde ich die ganze Wahrheit wissen.
»Wegen Antonia
…«
Ich finde,
jetzt wäre der perfekte Moment, um wegzutreten. Aber mein Körper gehorcht mir nicht.
Er bleibt einfach sitzen und zittert.
Was kommt
denn noch alles? Wer bitte ist Antonia? Seine zweite Tochter vielleicht?
Basti sieht
meinen hilflosen Blick. »Toni ist meine Kollegin auf der Station. Wir waren vier
Jahre zusammen, wollten heiraten. Kurz bevor du und ich uns kennengelernt haben,
hat Toni sich von mir getrennt. Wegen Juli. Sie wollte nicht, dass meine Tochter
zu uns zieht. Sie will keine Kinder. Eigene sowieso nicht, aber auch nicht Julia.
Immer wenn die Kleine mich besuchen kam, ist Antonia zu einer Freundin gezogen.«
»Du hast
mit ihr zusammengelebt?«
Er nickt.
Wie ich
in diesem Moment muss sich eine Fliege fühlen, die man mit einem Handtuch an die
Wand geklatscht hat (Das hat Oma früher immer gemacht. Mir haben die Viecher irgendwie
leidgetan).
»Das ist
alles«, sagt Basti.
Immerhin
hat er gesagt, dass er dich liebt!
Das sind
die letzten Worte der naiven, zerschlagenen Rosa, bevor sie aufgibt und von der
Wand fällt. Ich bin froh, dass ich sie los bin. Jetzt kann die harte, unverletzliche,
vom Leben gestählte Rosa das Kommando übernehmen. Jawohl!
»Ich war
am Boden zerstört«, sagt Basti leise.
Ach, du
auch?
»Als ich
dich kennengelernt habe, da hatte ich Angst, dass du …«
»… dass
ich genauso auf dein Kind reagiere wie Antonia, nicht wahr?«
Erneut nickt
er. Plötzlich tut er mir leid, denn ich glaube, dass Antonia ihn gar nicht geliebt
hat. Hätte sie sich sonst zwischen ihn und seine Tochter gestellt?
»Es war
ein Fehler, dass ich dir nicht längst alles erzählt habe.«
Ich verstehe
ihn, doch mir schwirrt der Kopf. Aus diesem Stoff würde ein Autor einen ganzen Stapel
Groschenromane produzieren. ›Sebastian, der Arzt, der den Frauen nicht mehr vertrauen
kann, Teil 1 bis 40‹ oder so ähnlich. Da würden die Herzen der Leserinnen reihenweise
schmelzen.
Und ich
soll das alles in fünf Minuten kapieren? Sorry, das kann ich nicht.
»Ich muss
gehen«, sage ich mechanisch und stehe auf. »Bitte ruf nicht an. Lass … lass mir
Zeit. Ich melde mich bald bei dir, versprochen.«
Das war
das Erwachsenste und Gelassenste, was ich unter den gegebenen Umständen hervorbringen
konnte. Mehr war nicht drin.
*
Margret gibt mir für den Rest des
Tages frei.
»Ruh dich
aus«, sagt sie. »Und rede mit Vicki über alles. Das wird dir guttun.«
Ich nicke
dankbar und verschwinde, so schnell ich kann. Basti ist bereits auf dem Weg zurück
ins Krankenhaus. Hat er jedenfalls behauptet.
Die ganze
U-Bahn-Fahrt über halte ich die Tränen zurück, aber kaum laufe ich die Treppe zu
unserer Wohnung hinauf, ist es vorbei mit meiner Beherrschung. Heulend schließe
ich die Tür auf. Zu allem Überfluss habe ich mal wieder keine Taschentücher dabei.
Ich stürme wie ein Wirbelwind ins Bad, um mir die Rotznase zu putzen. Vicki ist
drin. Sie schreit kurz auf und zuckt
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